Bei CLIVE NOLAN und PENDRAGON stellt man sich als Marillion- und/oder Pink-Floyd-verliebter Prog-Head oftmals auf gepflegte neoprogressive Gewohnheiten, die auch schnell mal in Langeweile abrutschen können, ein. So ist es nicht wirklich ein echtes Ereignis, wenn PENDRAGON mal wieder mit einem neuen Album aufwarten.
Außer natürlich…
...die vier Herren um Mastermind NICK BARRETT überraschen einen mit solch außergewöhnlich ambitionierten und deutlich auf die GENESIS-Wurzeln zurückgreifendes Album, das in seiner Deluxe-Variante, bestehend aus drei CD's und einem 10“-LP-großen Hardcover-Buch, nicht nur aus musikalischer, sondern auch künstlerischer und natürlich haptischer Sammler-Sicht für Begeisterung sorgt.
Im Grunde bleibt auf dem nunmehr 11. PENDRAGON-Album „Love Over Fear“ nur der typische Barrett-Gesang und sein floydianisches Gitarrespiel beim Alten, doch statt der oftmals MARILLION-inspirierten Klangwelten der letzten Jahre begeben sich PENDRAGON zu ihren breit ausladenden neoprogressiven Wurzeln der frühen 90er-Jahre zurück, als sie mit echten Neo-Prog-Referenzwerken wie „The Window Of Life“ oder „The Masquerade Overture“ aufschlugen. Natürlich setzen sie hierbei auch vielmehr auf Schönklang und Melodie als auf Komplexes oder Verschachteltes, wobei zugleich eine deutliche Hinwendung zu vielfältigen akustischen Teilen unüberhörbar ist. Gerade diese verleihen dem 2020er-Album einen besonderen Reiz, der sich genau in der Stimmung des wunderschönen Wasserwelt-Covers widerspiegelt und die faszinierenden Bilder im Inneren des Buchs noch stärker untermalt.
Dass dieses Buch noch dazu eine CD mit der rein akustisch ausgerichteten Aufnahme des kompletten Albums, also viel Akustik-Gitarre, aber trotzdem zugleich jede Menge Keyboard, sowie eine weitere mit der rein instrumentalen, die glattweg als ein gelungener OLDFIELD-Output mit GENESIS-Attitüde durchgehen würde, enthält, katapultiert „Love Over Fear“ im Grunde auf den ersten Platz ihrer bisher elf Alben. Ein Gesamtkunstwerk, nicht hingeschludert, sondern akribisch durchdacht und umgesetzt. Chapeau!
Insgesamt fällt „Love Over Fear“ musikalisch genauso besinnlich, verträumt und farbenfroh – mit deutlich nächtlich-blauer, manchmal gar todtrauriger Orientierung, wie bei der Ballade „Starfish And The Moon“ – aus wie das dazugehörige Buch, in dem jeder Song durch ein ganzseitiges Aquarell-Bild illustriert wird (Besonders beeindruckend das Schlangenmotiv zu „Truth And Lies“ sowie das Himmelsauge zu dem folkigen „360 Degrees“!) und am Ende liebevolle Naturfotos die Aussageabsicht des Albums untermauern: Achtet auf und bewahrt die Natur und deren ganze Schönheit zu Land, zu Luft und zu Wasser. Unter diesem Aspekt tritt musikalisch das gewohnt Floydianische oder auch Härteres zugunsten von Alt-GENESIS-Affinem in den Hintergrund, wobei auch viele folkloristischen Elemente oder die Einbeziehung eines „Barjazz“-Saxofons auf der Klavier-Streicher-Akustik-Ballade „Whirlwind“ den pendragonschen Musik-Horizont erweitern. Erinnerungen an BIG BIG TRAIN und GALAHAD kommen unweigerlich auf.
Wenn das Rundum-Kunstwerk mit „Afraid Of Everything“ und der Carpe-Diem-Botschaft: „Lass die Vergangenheit hinter dir, lebe den Moment, als wäre er dein letzter!“, endet, um dann noch einen Bezug zu der unerforschten Natur herzustellen: „Vielleicht werden wir eines Tages 10.000 Fuß tief tauchen, ohne Angst vor dem zu haben, was wir dort begegnen“, dann haben PENDRAGON endgültig den Beweis dafür erbracht, dass ihnen mit „Love Over Fear“ das beste Album ihrer 35jährigen Karriere gelungen ist. Gerade aus diesem Grund sollte man unbedingt auf die kunstvoll gestaltete 3-CD-Deluxe-Version im Hardcover-Buch zurückgreifen.
FAZIT: Mit „Love Over Fear“ vollbringen PENDRAGON das kleine, für viele sicher unerwartete Wunder, das beste Album ihrer über 35jährigen Bandlaufbahn vorzulegen, das musikalisch und gestalterisch durch eine intensive Liebe zu jedem noch so kleinen Detail besticht und außerdem, gerade der akustischen Album-Variante wegen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei haben zu müssen, in einem Atemzug mit den frühen GENESIS-Alben genannt werden kann.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.03.2020
Peter Gee
Nick Barrett
Nick Barrett
Clive Nolan
Jan Vincent Velazco
Zoe Devenish (Violine, Backing Vocals), Julian Baker (Saxofon)
Toff Records/Just For Kicks
192:21
14.02.2020