Als vor 22 Jahren der britische Komponist und klassische Gitarrist sowie uneingeschränkte Kopf des PENGUIN CAFE ORCHESTRA, Simon Jeffes, an einem Gehirntumor starb, hätte eigentlich das PENGUIN CAFE für alle Zeiten seine musikalischen Pforten schließen sollen. Eine schreckliche Erkenntnis, denn gerade die so schwer einzuordnende, aber umso schöner wirkende Musik zwischen Minimalismus, Jazz, Kammermusik, Folk und New Age für immer verstummen zu lassen, wäre ein herber Verlust für die (größtenteils instrumentale) Musikwelt gewesen. Denn alle, die sich gerne in den Geniestreich-reichen Welten solcher Musiker wie MICHAEL NYMAN, YANN TIERSEN, PHILIPP GLASS und TERRI RILEY wohl fühlten, verloren damit ein wichtiges musikalisches Bindeglied, das an melancholischer Schönheit kaum zu übertreffen war.
Doch da gibt es ja noch Simon Jeffes’ Sohn, der das musikalische Erbe seines Vaters antrat und ganz in dessem Sinne und zur Begeisterung aller Freunde der Band fortsetzte und mit <a href="https://penguincafe.bandcamp.com/album/handfuls-of-night" target="_blank" rel="nofollow">„Handfuls Of Night“</a> einen weiteren Beweis dafür erbringt, wie eng ihm alle musikalischen Pinguine und Cafès seines Vaters am Herzen liegen, auch wenn er eine deutlich melancholischere, mitunter beinahe bedrückende Komponente beisteuert, die wahrscheinlich auch vielen MIKE OLDFIELD-Bewunderern, aus deren Sicht dessen „Hergest Ridge“-Album deutlich zu unterbewertet ist, absolut zusagen wird. Denn atmosphärisch bewegt sich dieses nächtliche Album in einer ähnlichen Bandbreite wie besagtes drittes Oldfield-Album, auch wenn hier dominierendes Instrument das Klavier ist.
Demgegenüber klingt allerdings ein Stück wie „Chapter“ wie ein geheimes Fundstück aus der GLASSschen „Koyaanisqatsi“-Phase.
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„Handfuls Of Night“ ist ein Konzeptalbum, das sich um die Expeditionen des britischen Polarforschers Robert F. Scott dreht. Außerdem ist es ein Auftragswerk für Greenpeace – ideal natürlich, da sich das PENGUIN CAFE schon immer umweltbewussten Themen öffnete und in diesem Falle sogar aktiv bei Greenpeace mitwirkte, wie Arthur Jeffes feststellt: „Diese Aufzeichnung begann mit einem Kern von Stücken, die ich speziell für ein Projekt mit Greenpeace im Herbst 2018 über Pinguine in der Antarktis geschrieben habe. Es gibt vier einheimische Pinguinarten in der Antarktis - jede mit ihren eigenen Eigenschaften und Naturen. Von dort aus habe ich mir eine ganze anthropomorphisierte Welt vorgestellt, in der diese Pinguine Erzählungen und Abenteuer hatten, die wir vertont haben. […] Außerdem wurde ich bereits 2005 gebeten, an einer Expedition teilzunehmen, die Scotts letzte Antarktis-Reise 1911 für die BBC mit derselben Edwardianischen Ausrüstung nachstellte. Ich bin kein Entdecker, aber ich war begeistert, zumal es eine familiäre Verbindung gibt - Scott war mit meiner Urgroßmutter verheiratet, bevor sie meinen Urgroßvater heiratete. Da die Antarktis zu diesem Zeitpunkt unter Naturschutz steht, sind wir in den nördlichen Polarkreis gewechselt, wo wir drei Monate auf dem grönländischen Eis verbracht haben. Zuerst haben wir Hundeschlitten gefahren und dann knapp 1000 km auf 10.000 Fuß über Eisfelder und Gletscher geschleppt. Ich hatte viel Zeit, um über mein Leben zu Hause nachzudenken. Damals beschloss ich, meinen Master of Music zu machen und mich auf das Komponieren von Musik zu konzentrieren, und dann wurde mir klar, dass Musik selbst an den entlegensten stillen Orten immer noch ein großer Teil der eigenen inneren Welt und Vorstellungskraft sein kann. Während der Expedition habe ich Tage damit verbracht, Dinge in meinem Kopf durchzuspielen und auch neue Dinge zu entwerfen, die ich dann am Ende des Tages aufzuschreiben versuchen würde.“
All diese Informationen kann man (natürlich in englischer Sprache) auf dem beidseitig bedruckten LP-Einleger nachlesen, auf dem zusätzlich auch die jeweiligen Inspirationen zu jedem Stück formuliert sind. Summa summarum ein größtenteils ruhig klingendes und breit mit Geigen, Bratsche, Cello, Bass, Schlagzeug, Klavieren und Flügeln, Synthesizer sowie Harmonium instrumentiertes Album, das den Hörer in die Welt der musikalischen Pinguine entführt.
„Handfuls Of Night“ bietet neben der historischen Reiseerinnerung an eine Polarexpedition zugleich eine bunte, von melancholischen Klangwelten getragene Musikmischung aus Ambient, moderner Klassik, Folk, Minimalismus und Electronica. Hypnotisch - wie alles, was bisher aus dem Hause PENGUIN CAFE (ORCHESTRA) kam!
FAZIT: Das PENGUIN CAFE öffnet wieder seine Musikpforten mit einem von Greenpeace geförderten, instrumentalen Klassik-Ambient-Minimalismus-Folk-Electronica-Konzept zu Scotts Polarexpedition. So melancholisch und ergreifend wie auf „Handfuls Of Night“ hat die Antarktis noch nie geklungen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.01.2020
Andy Waterworth
Neil Coding Khono
Arthur Jeffes, Des Murphy
Darren Berry, Arthur Jeffes, Cass Browne
Arthur Jeffes (Harmonium, Melodika), Vincent Greene (Viola), Neil Coding Khono (Granular Synthesis), Des Murphy (Xylophon), Tom Chichester Clark (Harmonium), Oli Langford (Violinen), Rebecca Waterworth (Cello)
Erased Tapes Records
46:44
04.10.2019