Rock-Historiker und Prog-Nerds mögen darüber streiten, ob "Delicate Sound Of Thunder" eine der bedeutendsten Live-Platten des Genres ist; unabhängig davon wird 2020 das vorläufig letzte Worte in dieser Sache gesprochen, denn der Mitschnitt erscheint nun in einer mit umfangreichem Bonusmaterial ausgestatteten Neuauflage in verschiedenen Formaten, die tiefere Einblicke in die Umstände der Entstehung und dergleichen mehr gewähren. Uns liegt die Doppel-CD vor; sie enthält acht Exzerpte, die nicht auf der 1988er Veröffentlichung des Albums enthalten waren, eines weniger als das Vinyl-Set.
Apropos Umstände: Der Konsens lautet, dass dieser Release seinerzeit eine Zäsur für die Gruppe bedeutete und den Beginn jener PINK FLOYD markierte, die wir heute kennen. Keyboarder und Sänger Richard Wright war nach den Sessions zu "The Wall" 1979 ausgestiegen, Bassist und Lyriker Roger Waters hatte sich im Anschluss an das bereits umstrittene Studio-Pastiche "The Final Cut" einer Solokarriere gewidmet, sodass Frontmann David Gilmour und Drummer Nick Mason an einem Scheideweg standen - weitermachen oder hinschmeißen?
Weitermachen: 20 Jahre nach ihrer Gründung holte die Band, nachdem man Wright zurückgeholt und eine Reihe von Session-Musikern eingespannt hatte (King Crimsons Tony Levin etwa spielte Bass), zu einem Befreiungsschlag aus - ihrem 13. Studioalbum "A Momentary Lapse Of Reason", das nicht nur den Großteil ihrer Fans versöhnte, sondern auch eine ohnehin schon sagenhafte Erfolgswelle fortsetzte.
Die darauffolgende Tournee war eine weitere der Superlative, und PINK FLOYDs dabei von Regisseur Wayne Isham mitgeschnittene Performance im Nassau Coliseum auf Long Island im August 1988 sollte tatsächlich jeder Rockfan gesehen haben. Als reines Audioformat hatte und hat "Delicate Sound Of Thunder" freilich ebenfalls eine Menge für sich.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/r6NtAwAMv1s" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
Auch wenn wir für unsere Besprechung nicht auf die Videospur zurückgreifen können, sei gesagt, dass die versprochene Klangrestaurierung wirklich keine Lappalie ist. Der Re-Release klingt klasse, einfach satter und ausgewogener in allen Frequenzbereichen, vor allem im Vergleich zu den ersten CD-Pressungen aus der Zeit der ursprünglichen Veröffentlichung, als man beim Kauf mancher Silberlinge noch richtige Sound-Nieten zog …
Wie dem auch sei: Die Kernmitglieder - unterstützt von Jon Carin (Keyboards, Gesang), Tim Renwick (Gitarre, Gesang), Guy Pratt (Bass, Gesang), Gary Wallis (Percussion), Scott Page (Saxofon, Gitarre), Margret Taylor (Backing Vocals), Rachel Fury (Backing Vocals) und Durga McBroom (Backing Vocals) - legten zu jenem Anlass den Sockel für ihre eigene Heldenstatue. Das, was auf "Delicate Sounds Of Thunder" geboten wird, unterscheidet sich im Grunde nicht merklich von FLOYD-Gigs bis in die jüngere Vergangenheit, wobei die Nerd-Fraktion nun diskutieren darf, ob nicht "Pulse" (1995) noch einen Tick zwingender ist.
Im Videoteil (je nachdem, für welche Edition man sich entscheidet) lassen Warner und Band den vollständigen Konzertfilm in restaurierter, neu geschnittener Fassung Revue passieren, wobei man auf die Originalbänder zurückgegriffen und eine wirklich hörenswerte 5.1-Surround-Sound-Abmischung anfertigen lassen hat; Fans der Gruppe kennen das bereits aus dem Boxset "The Later Years". Ein im Fall der 4CD-Variante besonders dickes, reichhaltig bebildertes Begleitbüchlein ergänzt die 2020er-Veröffentlichung, die Box wirbt mit Gimmicks wie der Replik eines Tourneeplakats oder Postkarten.
FAZIT: Als Ende der 1980er repräsentative Werkschau von PINK FLOYD - bestehend aus Material von "Dark Side Of The Moon", "Wish You Were Here", "The Wall" sowie dem kompletten "A Momentary Lapse Of Reason"-Comeback - taugt "Delicate Sound Of Thunder" nach wie vor bestens. Die Verteilung unterschiedlicher Songs auf die verschiedenen Formate ist allerdings fiese Geldschneiderei. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/4023445928d9492eb15e37dd4826f579" width="1" height="1" alt="">
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.11.2020
Guy Pratt
David Gilmour, Richard Wright
David Gilmour
Richard Wright
Nick Mason
Warner
140:59
20.11.2020