<b>„'Transhuman' ist eine stilistische Melange unserer unterschiedlichen Historien, auf dem man neben typischen U96-Tracks auch von Flürs Vergangenheit inspirierte Stücke findet. Auffallend dabei ist besonders die inhaltliche Reduktion aufs Wesentliche, sprich: sparsame, assoziative Textfragmente mit tiefen, aber auch spielerischen und geheimnisvollen Aussagen, die man eher fühlt als kognitiv wahrnimmt.“</b> (Wolfgang Flür von KRAFTWERK und U96)
Ach, ist das gemein! Oder Absicht?
Jedenfalls – wenn man eine Kuh auf einem Cover sieht, die einen so unschuldig, fast mit einem gewissen Vorwurf im Blick, anschaut, dann werden bei einem nicht nur vegan-vegetarische Gefühle und „Meat Is Murder“-Gedanken der SMITHS, besonders aber von MORRISEY, geweckt, sondern zugleich die an eins der bekanntesten LP-Cover aller Zeiten – entworfen von den grandiosen Hipgnosis – das fast mehr Aufsehen erregte, als die im Jahre 1969 entstandene Musik dahinter, welche heute selbst von der Band, die dafür verantwortlich war, recht umstritten wahrgenommen wird. Natürlich handelt es sich um „Atom Heart Mother“ von PINK FLOYD!
Und nun?
Nun schaut uns in ganz ähnlicher Weise und im ähnlichen Stil zwar keine Kuh, dafür aber ein Ochse, vom „Transhuman“-Cover an. Zwar nicht mehr von einer grünen Wiese aus, sondern von einem schottrigen, von Pfützen übersäten Weg mit Berglandschaft im Hintergrund – ist das schon ein erstes Zeichen… Ein kritischer Hinweis auf unseren Umgang mit Tier und Natur?
Aber sicher, denn liest man sich genauer die Titelliste zum Album durch, bei dem der „Planet In Fever“ im „Maschinenraum“ auf den „Sexerziser“ trifft, erkennt man schnell die Absicht dahinter.
Hört man nun auch noch den Namen der Band und besonders des legendären Musikers, der mit ihnen für dieses Album zusammenarbeitete, dann wird allerhöchste Neugier geweckt – als da wären die „U-Boot“-Musikkapitäne von U96 (Ingo Hauss & Hayo Lewerentz) und der KRAFTWERKer WOLFGANG FLÜR.
Bereits auf <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2018/U96/ReBoot/" target="_blank" rel="nofollow">ihrem „ReBoot“-Album</a> fragten U96 mit JOACHIM WITT als Sänger auf „Quo Vadis“ kritisch danach, wo es hingeht mit dieser Erde und der Natur, dem Fortschritt und der zerstörerischen Technik – und diese Frage setzen sie musikalisch auch auf „Transhuman“ fort. Der nunmehr spektakulären durchgängigen Zusammenarbeit zwischen Flür und U96, die bereits auf zwei Songs ihres „ReBoot“-Albums ihren Anfang nahm.
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Allerdings war es diesmal wirklich zwingend notwendig, auf dem Cover neben der Band U96 explizit auf WOLFGANG FLÜR zu verweisen, denn noch nie klang ein Album so sehr nach KRAFTWERK wie dieses. Und alle, die noch selig in Erinnerungen schwelgen, wenn sie mal wieder ihre KRAFTWERK-Platten rotieren lassen, die sollten nunmehr daneben Platz für „Transhuman“ schaffen. Denn dieses Ochsen-Album würde nicht nur bei musikalischen Rindviechern als KRAFTWERK anno 2020 durchgehen.
Mit „Zukunftsmusik“, die erste Zusammenarbeit zwischen U96 & Flür, die bereits auf „ReBoot“ erschien und nun als 'Radiophonique Mix' auf „Transhuman“ weiterentwickelt wird, wandeln die Musiker offensichtlich auf den „Wir sind die Roboter“-KRAFTWERK-Pfaden, nachdem sie bereits konsequent auch auf den beiden Songs zuvor keinerlei Hehl aus ihrer KRAFTWERK-Affinität machten.
Selbst der Albumtitel „Transhuman“ stellt durchaus Parallelen zur 1978er „Mensch-Maschine“ her. Und diese Orientierung dürfen wir getrost gut eine Stunde lang genießen, auch konzeptionell, indem sich Mensch und Technologie begegnen und transformieren – nicht immer eine Begegnung mit positivem Ausgang. Oder wie es Ingo Hauss ausdrückt: „Stücke wie 'Zukunftsmusik' oder 'Transhuman' erzählen keine Geschichten im eigentlichen Sinne, sondern artikulieren Gefühle und Assoziationen mit wenigen Worten, ähnlich wie seinerzeit 'Radio-Aktivität', 'Autobahn' oder 'Die Mensch-Maschine'. Zudem gibt es auf 'Transhuman' einige Melodien, die auf der Grundlage von Computer-Algorithmen entstanden sind, also fraktale Musik, mit der wir in der Historie sogar noch weiter zurückgehen, bis zu Klaus Schulze, Stockhausen, den Elektronik-Laboren der Fünfziger und Sechziger und der Kompositionstechnik der so genannten 'Musique Concrete'.“
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Natürlich enthält „Transhuman“ auch typische U96-Stücke, wie „Clone“ und „Specimen“, die allerdings deutlich in der Unterzahl bleiben. So gilt in diesem Falle: Wo der Name eines KRAFTWERK-Musikers draufsteht, da ist auch KRAFTWERK drin!
Auch hierfür gibt es einen guten Grund, denn Musiker, die nicht zu KRAFTWERK gehören, grübeln bereits seit Ewigkeiten, wie und mit welchen Mitteln man dermaßen faszinierende elektronische Klänge zustande bringen kann. Wahrscheinlich kann bei der Lösung dafür nur ein KRAFTWERKer helfen, woraus der zweite im U96-Bunde, Hayo Lewerentz, kein Geheimnis macht: „Wenn man sich als deutscher Künstler in den Achtzigern mit elektronischer Musik, Synthesizern und den kreativen Studiomöglichkeiten beschäftigt hat, kam man an Kraftwerk natürlich nicht vorbei. Uns hat Tag und Nacht beschäftigt, wie diese Band ihre Wahnsinnsklänge erzeugt.“
Anno 2020 darf man mit „Transhuman“ das Ende dieser Grübelei in Augen- und Ohrenschein nehmen. Und nicht nur die Freunde von KRAFTWERK werden danach sprachlos sein.
Nich umsonst wurden die eine Techno-Nummer „Let Yourself Go“ samt ihrem Beatsole Remix nur als Bonus Track mit auf das Album genommen, denn hier kommen eben viel mehr Erinnerungen an die 'altbekannten' U96 oder SCHILLER, nicht aber an die Hochzeiten von KRAFTWERK auf.
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FAZIT: Lust auf ein neues Album von KRAFTWERK? Hier ist es, auch wenn auf dem Cover von „Transhuman“ U96 & WOLFGANG FLÜR (KRAFTWERK-Schlagzeuger von 1972 – 1987) steht, so klingt das Album trotzdem wie die gelungene Fortsetzung der „Mensch-Maschine“!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.09.2020
Wolfgang Flür, Ingo Hauss, Hayo Lewerentz
Ingo Hauss, Hayo Lewerentz, Wolfgang Flür
Wolfgang Flür
Unltd Recordings
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04.09.2020