<b>„Progressive Rock aus Deutschland! Nie zuvor gab es eine vergleichbare Zusammenstellung!“</b> (Produktinfo von Bear Family Records, die es zu 100% auf den Punkt bringt!)
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Und weiter geht’s, nachdem Bear Family Recordings <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2020/Various-Artists/Kraut-Die-innovativen-Jahre-des-Krautrock-1968-1979--Teil-1-Norden/" target="_blank" rel="nofollow">den Krautrock-Norden im ersten Teil per Doppel-CD</a> und 100-seitigem deutschsprachigen Booklet besuchten, setzt sich die Reise auf dem zweiten der insgesamt vier Teile umfassenden Reihe in der Mitte Deutschlands fort – auch hier wieder präsentiert auf einer Doppel-CD und einem ebenso umfangreichen, informativen Booklet. Progressive Rockmusik aus Deutschland, die als Krautrock ihr weltweites Alleinstellungsmerkmal erhielt, verbreitet auch diesmal die pure akustische Faszination sowie die illustersten und umfangreichsten Informationen: „Kraut! - Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979 – Teil 2, die Mitte“.
Als chronologisch und thematisch buntes Durcheinander krautet es über 150 Minuten lang lustig drauflos und offenbart uns eine Vielzahl wirklich unbekannter Krautrockgrößen. So wie beispielsweise die älteste Aufnahme des Samplers, die diesen auch abschließt: XHOL CARAVAN aus Wiesbaden mit der Single-Version von „Planet Earth“.
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Auch wieder zwei Über-10-Minuter befinden sich verteilt auf beide CD's – ein an DEEP PURPLEs „April“ erinnernder symphonischer Longtrack von FAITHFUL BREATH (12:08 Minuten) und einer von SWEET SMOKE, welcher zugleich als eindeutiges Highlight der ersten CD durchgeht. Der herrlich bekifft-psychedelische 17-minütige Longtrack „Silly Sally“ mit langem Schlagzeug-Solo, samt unverkennbarer Parallelen zu IRON BUTTERFLYs Kultstück „In-A-Gadda-Da-Vida“.
Echt überraschend ist, dass auch KLAUS DOLDINGER'S PASSPORT mit dem damals begnadeten Schlagzeuger und kurze Zeit später legendären Nuschel-Kult-Deutschrocker UDO LINDENBERG hinter der Schießbude, der allerdings auf „Uranus“ nicht mit dabei ist, sondern sein ebenso begnadeter Kollege CURT CRESS, mit auf dem Kraut-Sampler vertreten ist. Doldinger und Krautrock – da gehört schon eine breitgefächerte Begriffsauslegung dazu – aber mit „Uranus“, einem insgesamt recht ungewöhnlichen PASSPORT-Stück, passt das durchaus, denn gerade das 1971er-Album „Passport“, aus dem das Instrumentalstück stammt, gilt in Kennerkreisen weniger als Jazz- und vielmehr als Prog-Rock-Album.
Ach ja, und dann auch noch FLOH DE COLOGNE, die in der DDR so wahnsinnig beliebte Gruppe aus Köln, weil sie als Wessis den Beweis in ihren extrem-linksgerichteten Texten dafür brachten, getreu dem gebetsmühlenartig im ideologisch-unerbittlichen DDR-Staatsbürgerkunde-Unterricht gelehrten Scheißdreck, dass wir es in der BRD mit dem „verfaulenden, parasitären Kapitalismus“ zu tun hatten, während unser 5-Jahres-Plan zur religiös-ideologischen Seligpreisung verkam, obwohl es nur noch der verwaltete Mangel war.
Ist das wirklich Kraut- oder doch nur linksgerichteter Polit-Rock?
„Fließband Baby (Manchmal träum ich)“ stellt jedenfalls eine deutliche Verknüpfung beider Stilrichtungen dar.
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Und zum Ende der ersten CD sagt uns dann – nachdem wir gerade von NECRONOMICON ausgiebige „Tips zum Selbstmord“ erhalten haben – SHAA KHAN gleich noch zum Freitag den Weltuntergang vorher. Ganz schön düstere Krautrockzeiten, die dann aber gleich mit dem ersten „Schmetterling“-Song von BRÖSELMASCHINE der zweiten CD sofort wieder aufgehellt werden.
Leider wurde aus Kapazitätsgründen, denn auch die zweite CD ist mit einer Laufzeit von 77 Minuten rappelvoll, bei TRIUMVIRAT, die in ihren Anfangstagen als die westdeutschen ELP galten, auf die Single-Version „Dimplicity“ zurückgegriffen. Denn gerade dieses hochkomplexe, aus zwei Teilen über jeweils eine LP-Seite bestehende Album wies unüberhörbare Ähnlichkeiten zu ELP's „Tarkus“ auf, was man aus einer dreiminutigen Single-Version natürlich nicht herauszuhören vermag.
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So bestätigt sich auch auf dem zweiten „Kraut!“-Teil, dass besonders aussagekräftig und hörenswert die komplexeren Longtracks sind, während der eine oder andere kürzere Titel zwar auch in Verbindung mit den ausführlichen Informationen zu den Bands und ihrem Schaffen im 100 Seiten umfassenden Booklet viel Unterhaltungswert besitzt, aber unter musikalischem Aspekt manchmal nicht zwingend notwendig für einen Krautrock-Sampler erscheint. Wenn's um Krautrock geht, ist es eben eine recht schwierige Gratwanderung, die einem bevorsteht – und die am Ende im Großen und Ganzen von Bear Family Productions wieder vorbildlich gelöst wurde.
FAZIT: Mit ‚Kraut! Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979‘ veröffentlichen Bear Family Productions im Jahr 2020 alle drei Monate eine Doppel-CD mit einem etwa 100-seitigen Booklet voller Biografien zu jeder einzelnen Krautrock-Band und treffen eine exquisite Krautrock-Auswahl, die sich auf vier unterschiedliche Regionen beschränkt und die teils weit über Deutschland hinaus für Furore sorgten. Mit „Kraut! - Die innovativen Jahre des Krautrock 1968-1979 – Teil 2“ erhält der Krautrock, der sich diesmal auf die Mitte Deutschlands mit insgesamt 25 unterschiedlichen Bands konzentriert, die ihm gebührende Anerkennung.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.07.2020
Bear Family Productions
152:29
05.06.2020