<b>„Wir haben viel und lange darüber gesprochen, wie eine Band unserer Größe ein kompromissloses kreatives Ziel aufrecht erhalten kann. Im Angesicht des Spätkapitalismus lernen wir immer noch, und es ist toll, weiter lernen zu können. Für einige wenige sind wir ihre Lieblingsband. Und die wenigen haben uns die Freude bereitet, immer weiter lernen zu können.“</b> (WE ARE THE CITY)
Wer hat ihn nicht, diesen Song in seinem Kopf, der wieder und wieder auftaucht und nie in Vergessenheit zu geraten scheint?
Auch dem kanadischen Art-Rock- und Indie-Pop-Trio WE ARE THE CITY, die spätestens seit ihrem letzten Album <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2018/We-Are-The-City/At-Night/" target="_blank" rel="nofollow">„At Night“</a> von uns heiß geliebt werden, geht es ganz genauso. Nur die haben's noch dazu drauf, genau zu diesem Evergreen-Kopf-Gefühl mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=MhzcKvAzohc" target="_blank" rel="nofollow">„Songs In My Head“</a> auf ihrem neuen Album mit dem tödlichen Namen „RIP“ einen Song zu schreiben, der in seiner ganzen Dynamik und Laut-Leise-Abwechselei genau zu dem eindringlichen Stück wird, das er thematisiert. „Songs In My Head“ geht einem bereits nach dem ersten Durchlauf nicht mehr aus dem Kopf – vielleicht weil er einerseits unsere Gehörgänge durchbläst und dann wiederum zärtlich umschmeichelt. Eine Eigenart, die man im Grunde auf das gesamte, mit gutem Grund recht traurig ausgefallene „RIP“-Album übertragen kann.
Doch zuvor wird einem als Album-Opener mit „Killer B-Side Music“ erst einmal ein musikalisches Wechselbad der Gefühle um die Ohren gehauen, das noch radikaler als alle unvergessenen Songs die „Härte trifft auf Ruhe“-Spielerei auslotet.
WE ARE THE CITY stellen klar, dass im Gegensatz zum düsteren Vorgänger „At Night“ noch stärker mit den Gegensätzen gespielt, mehr experimentiert und deutlich progressivere Klangfelder beackert werden. Ihr Liebe für eingängige Melodien verlieren sie dabei jedoch nie aus dem Blickfeld, getreu dem Motto: „Wenn ich Chaos kann, dann aber auch Ordnung“, so passt die eine oder andere kunterbunte Song-Socke auch in den lackschwarzen Musik-Nobelschuh.
Was dunkel auf „At Night“ begann, erfährt in dem bereits fünften WE ARE THE CITY-Album seine entsprechende Fortsetzung, wozu natürlich auch der gewohnt hochtönende Gesang von Cayne McKenzie sowie dessen Texter-Kunst gehören.
Oftmals lächelt einen zudem eine gehörige Prise traurige Melancholie aus der Musik und den Texten dieses Prog-Pop-Opus an, das sich mit der Sterblichkeit an sich beschäftigt, wofür ein realer tragischer Hintergrund steht. Während der sich über zwei Jahre erstreckenden Arbeit am Album verstarb völlig überraschend ein gemeinsamer Freund aus Kindertagen (KYLE TUBBS von FIELDS OF GREEN), was zur Folge hatte, dass sich die Band diesem Thema zentral öffneten und es konzeptionell auf dem mit der Grabinschrift „RIP“ versehenen Album verfolgten.
Besonders tief emotional trifft einen dann das Album-Ende, welches mit dem Titel-Song aufhört, in dem eine improvisierte One-Take-Aufnahme von Sänger Cayne McKenzie zu hören ist, welche nur wenige Tage nach Bekanntwerden des plötzlichen Todes seines Freundes entstand und Bandschlagzeuger Andrew Huculiak erinnert sich: „Wir gingen dorthin zurück, wo alles für uns begonnen hatte (Kelowna) und das hatte es ziemlich in sich. Es gibt einige Momente auf der Platte, wo Cayne fast weint, während er singt, und ich weiß nicht, ob das in einem Studio auf die gleiche Weise funktioniert hätte. Wir fingen ein ehrliches und echtes Gefühl ein, fingen ein, wo wir uns gerade befinden.“
Und McKenzie stellt noch deutlicher klar: „Das Lied entstand vor dem Tod von Kyle. Eigentlich ein trauriges Lied über das Gefühl, wie der beste Freund aus Kindheitstagen ganz langsam verschwindet. Ich war traurig über den Verlust unserer Freundschaft. Vier Monate später starb er an einer Fentanyl-Überdosis, am 26. Januar 2018. Ich nahm den Gesang neu auf und improvisierte einen neuen Text, nur wenige Tage, nachdem ich von Kyles Tod erfahren hatte.“
Damit ist im Grunde das Rätsel gelöst, warum die Musik auf „RIP“ zwar von versteckter Trauer und Melancholie getragen, aber niemals von schwulstigem Pathos übermannt wird.
Selbst vor dem HipHop machen die Kanadier diesmal nicht halt, wenn sie in „Me+Me“ ihre abenteuerlichen Botschaften für viele sicher sehr überraschend auf so unerwartete Musikweise verbreiten.
„Saint Peter“ wiederum bekommt einen Soul-geprägten Satzgesang des Vaters von Cayne verpasst. Dessen Name Pete sorgte so sicher auch für den geheimnisvollen Songtitel.
Alles in allem geht „RIP“ einerseits verdammt tief – und andererseits musikalisch zugleich verdammt weit!
FAZIT: Mit „RIP“ veröffentlicht das Art-Rock- und Indie-Pop-Trio aus Vancouver WE ARE THE CITY ihr emotional ergreifendstes Album. Bereits das fünfte, auf dem sie sich, ausgelöst durch den überraschenden Tod eines sehr guten Freundes, mit der Sterblich- und Vergänglichkeit beschäftigen und sich dabei sehr intensiv in die Abgründen menschlicher Verlustängste begeben.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.01.2020
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