Unfassbar, dass dieser Musiker aus Texas und zugleich einer der wichtigsten Vertreter der Outlaw-Bewegung, die sich mit ihrer Country-Musik gegen das Nashviller Establishment wenden, bereits 87 Jahre und 70(!!!) Alben alt ist. WILLIE NELSON, dessen Stimme wie der kleine, aber ältere Bruder von JOHNNY CASH klingt und dessen Musik auf „First Rose Of Spring“ sich sehr wohl neben den „American Recordings“-Alben fühlen darf, lässt uns auf dieser LP sehr bewegend an seinen oft traurigen Gedanken, die er und seine Co-Autoren in wundervoll poetische Texte kleiden, und seiner recht getragenen, ruhigen, manchmal melancholischen Country-Musik teilhaben.
Auf seinem tatsächlich 70. Studioalbum, das dem sehr erfolgreichen und mit dem „Best Solo Performance“-Grammy ausgezeichneten „Ride Me Back Home“ folgt, zeigt Nelson zugleich seine intimste Seite, indem er über das Leben und die Liebe aus der Perspektive eines Künstlers – und damit wohl seiner Perspektive – singt. Hierbei lässt er tief blicken und erzeugt genau jene innige Atmosphäre, welche gleich durch den Titelsong, mit dem das Album ruhig durchstartet, sehr intensiv ausgelebt wird. Die erste Rose im Frühling als Parabel auf die Familie und eine innige Liebe, die auch irgendwann vergehen kann.
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Insgesamt gibt es auf Nelsons 2020er-Album elf nagelneue Studio-Songs zu entdecken, die neben eigenen Stücken auch in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Freund Buddy Cannon, welcher das Album zugleich produzierte, entstanden. Aber auch weitere Co-Writer unterstützen Nelson auf „First Rose Of Spring“, wie beispielsweise Toby Keith auf „Don't Let The Old Man In“, in dem es darum geht, das Alter(n) nicht zu sehr an sich heranzulassen, und das sehr ruhige und bewegende, von Chris Stapleton verfasste Stück „Our Song“, eine Liebeserklärung an die wahre Freundschaft.
WILLIE NELSON lässt auf „The First Rose Of Spring“ seine im besten Sinne positive Altersweisheit erklingen und versteckt dahinter die Botschaft, dass Alter vielleicht nach all den Erfahrungen, die man im Laufe der Jahre gesammelt und den Erlebnissen, die man genossen und erlitten hat, im Grunde auch ein Schritt zu ewiger Jugend sein kann. Und wenn jemand mit 87 Jahren solch ein Album aufnimmt, dann ist er der lebende Beweis für diese Botschaft, auch wenn die letzten Zeilen des Albums mit: „The time has come for me to pay for / Yesterday, when I was young“, enden. Doch diese sind nicht von WILLIE NELSON, sondern dem weltberühmten armenisch-französischen Chansonnier CHARLES AZNAVOUR und stammen aus dem Jahr 1964. Der Titel, der ursprünglich „Hier Encore“ hieß, erlangte fünf Jahre später in der englischen Version „Yesterday When I Was Young“ Weltruhm, auch weil er von Musikern wie ELTON JOHN, BING CROSBY, CHIRLEY BASSEY und vielen anderen gecovert wurde – nun reiht sich auch WILLIE NELSON in diese illustre Riege mit ein.
Am Ende und nach mehreren Hördurchgängen aber bleibt die erste Strophe aus „Our Song“, die WILLIE NELSON so herrlich charakterisiert, haften: „In this time that I've been given / To fill my life with livin' / I hope I've done the best that I can do“!
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FAZIT: Wir wissen nicht, den wievielten Frühling WILLIE NELSON selber bereits durchlebt hat, aber mit seinem Frühlings-Rosen-Album „First Rose Of Spring“ setzt der 87-jährige Country-Musiker noch einmal ein bewegendes und ruhiges Achtungszeichen hinter seine Musiker-Laufbahn, in der dieses 2020er-Album tatsächlich das 70. Studio-Album seiner langjährigen Karriere ist, über die er in seinen Texten auch ausgiebig und intim Auskunft gibt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.05.2020
Kevin Grantt, Larry Paxton
Willie Nelson
Willie Nelson, Bobby Terry, Buddy Cannon, Mike Johnson
Catherine Marx
Chad Cromwell, Lonnie Wilson
Mickey Ralph (Harmonica), Buddy Cannon, Melonie Cannon, Ward Davis (Background Vocals)
Legacy/Sony Music
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24.05.2020