Als die australische Musikerin ANITA LANE 1982 zusammen mit NICK CAVE und etlichen anderen Musikern aus dem BIRTHDAY PARTY-Umfeld nach Berlin zog, zerbrach nicht nur eine mehrjährige Beziehung mit NICK CAVE, sondern auch die Vision einer eigenen Karriere als Solo-Künstlerin, denn ANITA LANE verstand sich zeitlebens eher als Muse und Katalysator für andere denn als Person im Spotlight und wirkte im Folgenden an Projekten von CAVE, BLIXA BARGELD, DIE HAUT, MICK HARVEY, GUDRUN GIT oder BARRY ADAMSON mit.
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Dennoch erkannte sie durchaus ihr Talent als Musikerin und bat DANIEL MILLER, den Chef des Labels Mute, ihr eigene Projekte zu ermöglichen – nicht, um sich in den Vordergrund zu drängen, sondern eher um „Unsicherheit zu verherrlichen, als selbstbewusst und erfolgreich zu sein“, wie sie dereinst äußerte und etwas Dauerhaftes zu hinterlassen.
Das Ergebnis waren die zwei exquisiten, opulent-organischen Darkwave-Scheiben „Dirty Pearl“ von 1993 und „Sex O'Clock“ von 2001.
Danach zog sich ANITA LANE aus dem Musikbusiness zurück und zog mit ihrer Familie zurück nach Australien, wo sie im April dieses Jahres im Alter von 61 Jahren verstarb.
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Die Wiederveröffentlichung von „Sex O' Clock“ auf CD und erstmals auch auf LP hatte sie dem Vernehmen nach noch selbst initiiert. Einer größeren Öffentlichkeit blieb ANITA LANE trotz der Connection zu der australischen Ex-Pat-Szene in Berlin weitestgehend verborgen – in ihrer Community war sie indes eine hochangesehene, beliebte Muse.
NICK CAVE, mit dem zusammen ANITA LANE von BIRTHDAY PARTY-Zeiten bis hin zum BAD SEEDS-Album „Murder Ballads“ als Songwriterin und Performerin zusammengearbeitet hatte, erklärte in seinem Nachruf, dass „Anita mit einer ungezügelten, instabilen, tödlichen Energie aufgeladen“ gewesen sei, „die ihr ihr ganzes Leben lang folgen würde“ und dass sie „die mit Abstand Klügste und Talentierteste von uns allen“ gewesen sei.
Wer sich darauf einlässt, kann das zweifelsohne aus dem Album „Sex O'Clock“ heraushören.
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FAZIT: „Sex O'Clock“ war das von MICK HARVEY produzierte zweite und letzte Solo-Album von ANITA LANE. Zusammen mit den Streicher-Arrangements von BERTRAND BURGALAT erschuf HARVEY ein plüschiges, warmes Kaputnik-Setting, das im Mittelteil seltsamerweise oft mit Disco- und R'n'B-Elementen angereichert wird, zwischen denen ANITA LANE irgendwie desorientiert und sprechsingend herummäandert – in den entscheidenden Phasen aber mit nachdrücklicher Emotionalität zu überzeugen weiß. Speziell überzeugt dies in den beeindruckenden Coverversionen, wie GIL SCOTT HERON'S „Home Is Where The Hatred Is“ und dem Partisanen-Klassiker „Bella Ciao“, weil sie in beiden Fällen mit einem gewissen Defätismus tiefer in den Abgrund blickt, als das notwendig gewesen wäre. Dies wiederum steht im krassen Kontext zu den generischen, selbstironischen Disco-Passagen – und macht so das Album zu etwas ganz Besonderem.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.12.2021
Mick Harvey
Anita Lane
Mick Harvey
Mute
44:40
10.12.2021