<b>„Dies ist unsere siebte Platte, deren bedeutende Numerologie die DNA ihres Inhalts beeinflusste: die sieben Tugenden, die sieben Sorgen und die sieben Todsünden. Sie ist eine Kritik am Aufstieg der kapitalistischen Kurzsichtigkeit, des Rassismus, des Sexismus und der Frauenfeindlichkeit auf der ganzen Welt.“</b> (Shirley Manson, Sängerin von GARBAGE)
Mit unerbittlichen, ja fast brutalen Botschaften, die sich schon allein in dem Albumtitel „No Gods No Masters“ manifestieren, kehren GARBAGE auf die Rockmusik-Bühne zurück. Doch noch nie waren die drei Herren und eine Dame mit ihrer Band aus dem amerikanischen Bundesstaat Wisconsin seit ihrem immerhin schon 25-jährigen Bestehen in ihren Texten so unerbittlich deutlich und bringen dies in einer Mischung aus druckvollem Rock und nachdenklichem Pop zum Ausdruck: „Save your prayers for yourself / 'Cause they don't work and they don't help“ (Heb' dir deine Gebete für dich auf, weil sie sowieso unwirksam sind und nicht helfen!).
Pop-Musik für's Radio ist das nicht mehr, vielmehr welche für's Hirn. Und das scheint heutzutage vielen radikalen Zeitgenossen, unangenehmen Querdenkern und andersweitig seltsam bewegten Netz-Affinos entweder bereits abhanden gekommen zu sein oder abhanden zu kommen. Wen GARBAGE darunter verstehen, ist eindeutig schon an den einzelnen Titelnamen zu erkennen und an den Texten, welche sich verstärkt für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen, sowieso. Da wundert's natürlich nicht, dass dieser LP auch viel Häme und Ablehnung entgegengebracht und mit einem „Parental Advisory“-Sticker versehen wird, so als könne man damit die besungenen Zustände verbieten, anstatt den deutlich benannten Extremen, welche zu solchen Songs führen, an den Kragen gehen.
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Selbst die Kritiker-Szene scheint bei diesem Album gespalten, wenn man sich die ersten Reaktionen auf dieses Album im Netz durchliest. Sogar der Vorwurf, dass die Band im Stillstand verweilt und textlich nur Frust verbreitet, scheint bei einigen ausgeprägt.
„Mitnichten!“, möchte man da rufen, denn GARBAGE, die ja mit ihrer Kombination von Rock, Alternative, Pop, Electronics auch gerne der Grunge-Szene – zum Glück haben wir ja für jeden notenschwangeren Pups unsere Schubladisierungen – zugeschrieben wurden, sogar NIRVANA als Vergleichsgröße herhalten durften, machen endlich genau das, was einem Kurt Cobain, bevor er sich eine Kugel in den Kopf jagte, sicher Gefallen bereitet hätte. Sie werden richtig bissig und setzen in Text und Musik alle Tabus außer Kraft, kassieren endlich einen von moralapostolierenden Kleingeistern vergebenen Warnhinweis, weil sie auf Themen verweisen, die in dieser geballten Ladung für den Einen oder die Andere verstörend wirken.
Rassismus, Frauenverachtung, Klimawandel, Religionswahn, Machtmissbrauch, Korruption – so in etwa alles, was in Politik und Gesellschaft schiefläuft, kommt auf den von GARBAGE reichhaltig gedeckten Musik-Tisch, so als würden sie zum letzten Abendmahl, das gehörig hart rocken und gerne auch pervers schmecken kann, aufrufen: „If I had a dick / Would you know it / If I had a dick would you blow it.“ („Hätte ich einen Schwanz, dann wär' dir das nicht entgangen, hätt' ich einen Schwanz, würdest du mir einen blasen“, aus „Godhead“) Und zwar mit sexuellem Gestöhne wie auf „Anonymus XXX“ bis auch die letzten „The Creeps“ angekrochen kommen.
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Das wird nicht jedem schmecken, vor allem denjenigen nicht, die von Musik nur unterhalten werden wollen und die nach wie vor der irrigen Meinung sind, dass Musik unpolitisch bleiben soll. Gerade in solchen Zeiten wie diesen!
Hey, Leute, was Musik ist und wie sie rüberkommen soll, das bestimmen ausschließlich die Musiker, die sie machen und sich garantiert dabei was denken, selber – nur dann kann sie ehrlich sowie wahr- und glaubhaft sein. Wer Musik konsumiert, darf sich gerne darüber aufregen, aber bitte auf moralinsauere Vorschriften verzichten. Als Blinder Sehende, bzw. Hörender Musizierende, zu führen, geht nun mal nicht oder meistens schief: „Our kind of God is a crazy kind of God“. Genau, diese allwissende Verrücktheit, die einen in den Wahnsinn treibt – die kann man auf „No Gods No Masters“ lautstark hören.
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Aber auch angenehm balladeske Klänge erwarten einen auf „No Gods No Masters“, wenn GARBAGE am Ende der LP-A-Seite auf Gott warten, zum Beispiel und dabei erkennen müssen, dass mit seiner Erscheinung irgendwas falsch läuft und wir am Ende doch nur das bekommen, was wir heraufbeschworen haben, wie beispielsweise einen Lockdown oder Kinder, deren höchster Glaube auf Video-Ballerspielen beruht.
Genauso düster-ruhig und wenig erbauend geht das Album dann auch mit „This City Will Kill You“ zu Ende und hinterlässt einen vorerst bedrückten Hörer, was sich nach wiederholten Hördurchgängen aber ganz schnell ändert.
Durchgängig wohnt dem speziellen GARBAGE-Grunge eine aggressive und bedrohliche Atmosphäre inne. Ähnlich wie man sie einst von den TALKING HEADS kannte, wenn sie ihren „Psycho Killer“ und die „Fear Of Music“ heraufbeschworen oder die frühen ROXY MUSIC unter ENO-Federführung, wenn die 1973 auf „For Your Pleasure“ den „Bogus Man“ besangen oder in ihrer unheimlichen Sprechgesang-Ballade feststellten: „In Every Dream Home A Heartache“.
FAZIT: Noch nie haben GARBAGE ihrem Bandnamen solch eine Ehre erwiesen wie auf „No Gods No Masters“. Übersetzt heißt die Band aus Wisconsin immerhin Müll bzw. Abfall – und genau mit dem beschäftigen sie sich auf ihrem aktuellen 2021er-Album. Bereits das siebte. Unerbittlich prangern sie darauf in ihrer spannenden musikalischen Mischung aus Grunge, Rock, Alternative und Electronics so in etwa alles an, was derzeit in Politik, Gesellschaft und Zwischenmenschlichen schiefläuft. Und zwar in einer so klaren Sprache, dass es stellenweise schmerzt, wenn man genau hinhört. Nichts für „Creeps“, die kriegen auf der Scheibe genauso ihr Fett weg, wie falsche Gottesanbeter oder allmächtige Männer. Und wenn das einem die charismatische Sängerin mit dem mörderischen Namen Manson auch noch dermaßen deutlich ins Gesicht singt, dann hat das sogar eine „Parental Advisory“-Sticker verdient. Für Leute, die solche Warnungen auf Platten pappen gilt jedenfalls als erstes ein lauthalses: „Fuck off!“
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.06.2021
Steve Marker, Justin Meldal Johnson, Eric Avery, Daniel Shulman
Shirley Manson
Steve Marker, Butch Vig, Duke Erikson
Shirley Manson, Steve Marker, Butch Vig, Duke Erikson
Steve Marker, Butch Vig
BMG/ADA/Warner
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11.06.2021