Wow, was ist das nur für eine Wahnsinns-Live-Aufnahme einer Band, die sich leider schon kurze Zeit später nur als eine Jazz-Funk-Eintagsfliege herausstellte und auflöste. Was wohl wäre hier noch alles möglich gewesen, wenn sich Mims, Robertson und King aka NTU TROOP nicht entschieden hätten, dem charismatischen Saxofonisten GARY BARTZ den Rücken zuzuwenden und sich Richtung ROBERTA FLACK, LOU RAWLS und PATRICK RUSHEN zu begeben.
Der amerikanische Jazz-Saxofonist war allerdings auch nie ein wirklich stetiger Zeitgenosse, sondern immer auf irgendwelche mehr oder weniger spannenden Experimente aus. Schon in jungen Jahren jammte er mit FREDDIE HUBBARD, LEE MORGAN und dem mysteriösen, fast guru-artig verehrten PHAROAH SANDERS. Ab 1965 stieg er als Mitglied bei ART BLAKEY'S JAZZ MESSENGERS ein und 1970 gar zum 'Jazz-Gott' MILES DAVIS auf, womit natürlich die endgültige Jazz-Adelung von Bartz, der neben den Saxofonen auch Föten und Klarinetten spielte und sogar fürs Fernsehen komponierte, feststand.
Zwei Jahre später gründete er dann seine eigene Jazz-Band NTU TROOP. Den Namen entlehnte er der afrikanischen Bantusprache, wie er selber betonte: „NTU bedeutet Einigkeit in allen Dingen, in Zeit und Raum, Leben und Tod im Sichtbaren und Unsichtbaren. Musikalisch steht das als eine Allianz aus Bop, Free, Rock und afrikanischer Musik.“
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Bei seinem Konzert am 8. November 1975 in der Post-Aula von Bremen, das live von Radio Bremen mitgeschnitten und nun in sehr guter Klangqualität von Moosicus/MIG Music auf dieser Doppel-CD samt sehr informativem achtseitigem Booklet veröffentlicht wird, kann man bestens nachvollziehen, wie sehr die Vereinigung dieser musikalischen Stile gelingt. Aber auch die intensiven Jazz-Rock-Einflüsse eines MILES DAVIS oder ART BLAKEY sind unüberhörbar.
Mit dem 30 Minuten langen „Ju Ju Man“ ehrt Bartz sogar JOHN COLTRANE, dem er dieses Stück, in Kombination mit „Nation Time“, als Hommage, speziell für dessen Meisterwerk „A Love Supreme“ widmet.
Leider ist der – zum Glück – seltene, etwas auf Reggae getrimmte Gesang des Saxofonisten nicht gerade berauschend, auch wenn er in seinen Texten radikal mit den politischen Ungerechtigkeiten abrechnet („Uhuru Sasa“ richtet sich beispielsweise knallhart gegen den Vietnam-Krieg!), und somit die einzige Schwachstelle der Konzertaufnahmen, die entgegen der großartigen Leistung der Musiker an ihren Instrumenten den Gesamteindruck der Aufnahmen etwas schmälert. So gut auch die Absicht dahinter sein mag.
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Nach der Auflösung von NTU TROOP widmete sich GARY BARTZ wieder verstärkt dem Modern Jazz der Marke John Coltrane und Charlie Parker, sodass diese Konzertaufnahme zugleich einen Schnitt in seinem musikalischen Schaffen darstellt und zu dem FAZIT führt…
...Für alle Freunde guter Jazz-Musik voller Soli und stilistischen Wechseln, ohne zu extrem in Free-Jazz-Bereiche abzurutschen, ist „Live in Bremen 1975“ von GARY BARTZ NTU TROOP ein echter Leckerbissen, der auch nach 46 Jahren absolut mundet.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.04.2021
Curtis Robertson
Gary Bartz
Charles Mims
Howard King
Gary Bartz (Saxofone)
Moosicus/MIG Music
119:22
23.04.2021