„The Remnants of Losing Yourself in Someone Else“ ist der blumige Titel des Debüts der australischen Band GLASS OCEAN. Zwei Gitarren, Bass, Drums und ein Sänger, dessen Stimme angeblich gewöhnungsbedürftig klingt. Weil sie eigen und ziemlich unverwechselbar ist? Fachlich kann man Tobias Atkins nichts vorwerfen, er singt etwas nasal, von der Tonlage eine eigentümliche Mixtur aus Geddy Lee und Peter Gabriel (leichte Ähnlichkeiten existieren mit MARTIGAN-Sänger Kai Markwordt, der aber näher bei Gabriel liegt). Gefällt gut. Obschon keine Keyboards aufgeführt werden, existiert reichlich tastenaffine atmosphärische Untermalung (wie auch immer erzeugt).
Das Album erreicht bei elf Songs eine Lauflänge von gut 38 Minuten, woraus man unschwer schließen kann, dass Longtracks nicht angesagt sind. Einen Mangel an Komplexität kann man „The Remnants of Losing Yourself in Someone Else“ aber nicht bescheinigen. Denn obwohl es Tracks mit viel Pop-Flair gibt (so etwas wie „Soul Slumber“ dürfte gerne öfters im Radio laufen, „Divide“ besitzt feine funky Fusionen), ist Eingängigkeit nicht das Paradepferd auf der Trabrennbahn. Kein Galopp wohlgemerkt! Zwar besitzt die Musik GLASS OCEANS eine gewisse Metal-Attitüde, die aber deutlich gebremst zur Schau getragen wird („Beyond Us“). Hier trifft elegischer New-Art-Rock auf eine Reminiszenz an bessere Grunge-Tage.
Die Qualitäten dieser gekonnt dargebotenen Melange offenbaren sich nicht beim ersten Hördurchgang. Auch nicht beim zweiten. „The Remnants of Losing Yourself in Someone Else“ ist ein Sleeper, der seine Qualitäten nach und nach offenbart. Seien es kurze, artistische Gitarreneinlagen, die man erst beim wiederholten Hören als Zuckerguss wahrnimmt, oder das wohlaustarierte Spiel mit dem Fragmentarischen, bei dem geschickt gesetzte Pausen eine besondere Bedeutung einnehmen. Ganz fein auch der temporär an den „Silent Hill-Soundtrack“ erinnerte Opener „Voyage“. Ergibt ein Album, unter dessen charmant unauffälliger Oberfläche sich ein wahres Schätzchen verbirgt.
FAZIT: „The Remnants of Losing Yourself in Someone Else“ ist ein Kleinod, das seine Finesse und sein Funkeln nicht auf Anhieb preisgibt. Mag der erste Longplayer GLASS OCEANs zunächst etwas gleichförmig wirken, offenbart sich im wiederholten Verlauf, dass es viel zu entdecken gibt. Also, unterschätzt das Album nicht, nur weil es kein bombastisches, melodramatisches (letztlich schnell verpuffendes) Feuerwerk zündet. Das überlasst der NMB. Die Langzeitwirkung gehört dem GLASS OCEAN.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.08.2021
Eamonn Wooster
Tobias Atkins
Nguyen Pham, Julian Dobric
Patrick Smith
Wildthing Records/Just For Kicks Music
38:51
21.07.2021