Man stelle sich folgende Situation vor: Bayern im tiefsten Winter, den Erfrierungstod im Nacken macht man sich auf, fernab der Zivilisation sein Dasein zu fristen und findet sich nach einiger Zeit nicht nur in einer verwehten Schneelandschaft, sondern auch in einem menschenverachtenden Zustand wieder. Mit dem Album „Zeitlang“ der bayrischen Schwarzmetaller GRÀB gibt es dazu den perfekten Soundtrack.
Aber der Reihe nach; das Album beginnt mit einem Intro, das in seiner Länge den allgemeinen Durchschnitt im Genre sicher deutlich überragt und besticht darin in erster Linie durch Atmosphäre. Die musikalische – oder sagen wir instrumentale – Ausschmückung dieses Einklangs ist spärlich, lässt aber erahnen, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein raues, lebensfeindliches Unwetter niederbricht. Mit dem zweiten Song „Nachtkrapp“ kommt es dann auch genauso, wenngleich die ersten Takte munter im Mid-Tempo schwingen. Mittelteil und Schluss erklingen im feinsten Black-Metal-Gewand und bringen den nötigen Grundschwung, um auch die folgende knappe Stunde musikalisch zu gestalten. Ein „Nachtkrapp“ ist übrigens eine im süddeutschen und österreichischen Raum verbreitete Märchenfigur, die in der Nacht die Kinder ergreift und sie so weit von zu Hause fortträgt, dass sie nicht mehr zurückfinden. GRÀB gehen also auch inhaltlich nicht den angenehmsten Weg, liefern aber eine spannende Geschichte für den Anfang von „Zeitlang“.
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Der gleichnamige Song übernimmt nachfolgend das Zepter und führt die Reise im unterkühlten Klangspektrum á la LUNAR AURORA fort. Dabei bewegen wir uns sowohl qualitativ als auch sprachlich ebenfalls in den Gefilden der Rosenheimer, die sich 2012 in die Rente verabschiedet haben. GRÀB führen ihre Tradition gekonnt weiter und lassen die Saiten gefühlt stundenlang in der gleichen Melodie schwingen, während der raue, langatmige Gesang in bayrischer Sprache dem Menschenhass frönt. Im Mittelteil der Platte verschiebt sich der musikalische Fokus dann auch passenderweise etwas. Die Atmosphäre rückt auf „Weizvåda“ und „Nordwand“ etwas in den Hintergrund und macht damit Platz für eine Entladung feinster Black-Metal-Tonkunst. Auffällig ist, dass das Album einem logischen musikalischen Fluss zu folgen scheint, während jeder einzelne Track auf seine eigene Art und Weise besticht. „Weizvåda“ ist treibend und verhältnismäßig aggressiv, „Nordwand“ überzeugt durch markantes Trommelspiel und wirkt damit geradezu bedrohlich.
GRÀB wissen zu unterhalten und haben sich auf „Zeitlang“ auch einige hochkarätige Musiker zur Unterstützung geholt. Nicht nur, dass – beispielsweise in „A Dåg im Herbst“ – volkstümliche Instrumente wie Dulcimer und Zither zu hören sind, auch geben sich die Herren Schwadorf (u.a. EMPYRIUM und SUN OF THE SLEEPLESS) und P.K. (vor allem ABIGOR), die Ehre und spielen einige Passagen oder gar ganze Songs, etwa „Auf da Roas“, ein. Dies sorgt, neben der ohnehin schon überragenden Ausgestaltung der Scheibe, für weitere Abwechslung und wirkt sehr stimmig.
In der letzten Viertelstunde runden dann „S’letzte G’leit“ und „A Gråbliacht“ das ganze Album noch entscheidend ab. Schon durch die Titelgebung wird deutlich, dass sich „Zeitlang“ nach einer guten Stunde doch dem Ende neigt. Die mittlerweile gewohnt tragende Spielweise, die scharfen Gitarren und der klagende Schreigesang sorgen aber auch dafür, dass die beiden letzten Stücke musikalisch ihren Namen alle Ehre machen. Der rote Faden wird vom „Nachtkrapp“ zu Beginn der Platte bis zum Grablicht am Ende in starker Manier gesponnen und gibt die kalte, schummrige Stimmung des Plattencovers hervorragend wieder.
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FAZIT: So neu das Projekt GRÀB auf dem Markt noch ist, so stark profitiert es von der Erfahrung der Musiker und von den zahlreichen Einflüssen. Die kühle, aber dennoch erhabene Atmosphäre driftet zeitweise ins Gespenstische ab und trägt damit unheimlich dazu bei, dass „Zeitlang“ zu einer misanthropischen Winterreise par excellence wird. Chapeau GRÀB!
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.12.2021
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Trollmusic
61:18
01.10.2021