Über die alten neuen HELLOWEEN wurde in den Jahren seit ihrer Umbesetzung zum Sextett mit allen drei Sängern ihrer gesamten Laufbahn sehr viel geschrieben, und vom ersten gemeinsamen Album der aktuellen Mitglieder hat man schon manches gehört, nachdem sie auf der Bühne schon längst bravourös durch die Masterprüfung gekommen sind … doch wie klingt "Helloween" nun genau, und vor allem: Ist die Platte gut?
Sehr gut sogar, und langfristig dürfte sie insbesondere deshalb auf dem Teller rotieren, weil sie eine Fülle von Eindrücken bietet, fast als wollten sich die eigentlich-nicht-mehr-Hamburger der Generation ADHS andienen. Im Ernst, auf "Helloween" passiert so viel, dass einem schwindlig wird - wohlgemerkt ohne dass das Songwriting zu irgendeinem Zeitpunkt darunter leiden würde.
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Es stimmt schon, HELLOWEEN schauen zurück, aber vor allem in die Zukunft, und um den "retrofuturistischen" Charakter der Scheibe zu unterstreichen, hat man unter anderem das Schlagzeug des 1995 verstorbenen Ur-Drummers Ingo Schwichtenberg verwendet. So etwas ist eine nette Geste, im Grunde aber nur ein Gimmick, der gegenüber der musikalischen Substanz der Songs nebensächlich wird.
"Helloween" ist also geradlinig und trotzdem stets ungeheuer verspielt - wofür die typisch "happy" eröffnende Speed-Nummer ´Out For the Glory´ mit Kiske-Strophen und einem ewig jung gellenden Kai Hansen zwischendurch (Deris dürfte für den Rob-Halford-Schrei während der Bridge verantwortlich zeichnen) beispielhaft steht, dicht gefolgt vom ebenbürtigen ´Robot King´ … was für ein euphorischer Chorus!
Das garstig rockende ´Indestructible´ entpuppt sich als kaum minder schwerer Ohrwurm aus der zweiten Reihe hinter dem lässigen, dezent orchestral unterfütterten Feger ´Best Time´, der ein wenig an ´I Can´ und halt auch ´Dr. Stein´ erinnert, sowie dem zackigen ´Rise Without Chains´, wo Kiske und Deris wirklich als Traumduo in Erscheinung treten - wie dann auch kurz vor Schluss während ´Down In The Dumps´.
Die ebenfalls rasante zweite Vorab-Auskopplung ´Fear of the Fallen´ könnte im Grunde auch von den stärksten Deris-Platten "Time of the Oath" und "Better Than Raw" stammen, die Hymne ´Cyanide´ befindet sich auf Augenhöhe mit Spätneunziger-Schoten wie ´Falling Higher´.
Und über ´Skyfall´ muss man echt nichts mehr sagen: Das zwölfminütige Epos steht im Zeichen von ´Time of the Oath´ und ´Halloween´, zeigt die Band von ihrer kreativsten, proggigsten Seite und bestätigt ihre auch 2021 noch anhaltend hohe Bedeutung im Metal (und darüber hinaus) aufs Eindrucksvollste.
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Die Produzenten Charlie Bauerfeind (Blind Guardian) und Dennis Ward (Pink Cream 69) haben insgesamt mehr als nur ganze Arbeit geleistet, wobei Markus Grosskopf den wahrscheinlich besten Bass-Sound verpasst bekam, den er je hatte - höre dazu insbesondere den Stampfer ´Mass Pollution´ und das melancholische ´Angels´, das im Übrigen der unauffälligste ("schwächste"?) Track des Albums ist.
FAZIT: Zahlreiche Eindrücke, immerzu spannende Kompositionen, Spielfreude en masse, super produziert und gekrönt von je drei Fabelsängern beziehungsweise mordsmäßigen Gitarristen mit einem jeweils individuellen Stil, die das Anhören der vielen Instrumentalparts zu einem Vergnügen machen - HELLOWEENs selbst betiteltes Album geht in der Tat als ultimative Selbstdefinition einer der Schlüsselbands des deutschen Metal durch.
Kommt niemand dran vorbei. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/218af81d90844752a7d1b407654c93f4" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.06.2021
Markus Grosskopf
Michael Kiske, Andi Deris, Kai Hansen
Sascha Gerstner , Michael Weikath, Kai Hansen
Daniel Loeble
Nuclear Blast / Rough Trade
65:04
18.06.2021