Wenn Songwriter wie JEB LOY NICHOLS Alben ohne eigentlichen Titel herausbringen, dann bedeutet das weniger, dass ihnen diesbezüglich nichts eingefallen wäre, sondern dass sie das jeweilige Werk – im Sinne einer musikalischen Visitenkarte - als eine perfekte Repräsentation ihres künstlerischen „Selbst“ sehen.
Im vorliegenden Falle war das eigentlich schon länger mal fällig, denn spätestens als JEB LOY beschloss, seinem unsteten Leben als Troubadour und Großstadt-Bewohner adieu zu sagen und sich mit seiner Frau im ruralen Wales häuslich einrichtete – wo er seither als Musiker, Maler, Holzschnitt-Künstler und Autor mehrerer Bücher tätig ist – ist der Mann, welcher dereinst mit seiner Band FELLOW TRAVELERS quasi das „Alt-Country“ mitbegründete (und auch gleich noch mit Dub-Elementen sowie Reggae-Rhythmen anreicherte, auf die er zu Beginn seiner Laufbahn bei seinem Kumpel ADRIAN SHERWOOD gestoßen war) mit sich im Reinen.
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Das „Lieder-Schreiben“ interessiert Nichols nach eigener Aussage schon lange nicht mehr besonders. Seit er nämlich zu Beginn seiner Solo-Laufbahn (die er nach einem kurzzeitigen Major-Gastspiel in den USA Anfang des Milleniums nach und nach Richtung Europa verlegte) zusätzlich zu Country, Folk und Reggae via Nashville auch noch den Reiz klassischer Soul- und R'n'B-Grooves entdeckte, hat Nichols hier auch musikalisch seine Heimat gefunden und lässt seither diese Grooves zum Zentrum seiner Betrachtungen werden. Davon legt auch das neue Album wieder beredtes Zeugnis ab.
Obwohl Nichols seine Aussage bezüglich des songwriterischen Desinteresses mit seinen altersweisen, autobiographisch geprägten Selbstfindungs-Lyrics teilweise relativiert, basieren die neuen Tracks tatsächlich wieder auf organischen Memphis-Soul-Grooves, welche in der klassischen Manier des Genres auch gerne mit satten Bläsersätzen, Gospel-Chören oder schwelgerischen Hammond-Passagen augmentiert werden. Da Nichols schon lange in dieser Richtung tätig ist und dabei auch mit einigen Genre-Cracks wie LAMBCHOP oder DAN PENN zusammenarbeitete, überrascht dieser Ansatz nicht besonders. Was diese Scheibe dann allerdings bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass JEB LOY sich dieses Mal mit dem finnischen Label Timmion Records und der aus SEPPO SALMI, SAMI HANTELINEN und JUKKA SARAPÄÄ bestehenden Hausband COLD DIAMOND & MINK zusammentat – und deren Spezialität ist ein zwar raumgreifender, aber knochentrockener Sound, der aus der Zusammenarbeit mit Underdogs aus der Soul- und Funk-Szene herrührt. Genau hier kommt Nichols nicht eben genrekonformes, wettergegerbtes, raues Crooner-Timbre dann besonders gut zur Geltung, so dass diese Scheibe sich klanglich tatsächlich von seinen bisherigen Arbeiten absetzt.
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FAZIT: Dass es sich im Leben nicht auszahle, allzu clever sein zu wollen, schreibt JEB LOY NICHOLS' Mutter ihrem Sohn in dem Song „The World Loves A Fool“ als Ratschlag hinter die Ohren und rät ihm stattdessen, auf Narrenfreiheit zu plädieren. So präsentiert sich der Meister auf seinem mit heiterer Gelassenheit dahingroovenden, selbst betitelten neuen Album auch tatsächlich als amüsierter Narr, der den Lauf der Zeiten kritisch beobachtet und dabei feststellt, dass er seinen Platz im Leben zwar gefunden hat, sich aber deswegen nicht in Selbstgefälligkeit oder Besserwisserei verlieren möchte. Sehr viel effektiver lässt sich ein Resümee nicht auf den Punkt bringen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.06.2021
Sami Kantelinen
Jeb Loy Nichols
Jeb Loy Nichols, Seppo Salmi
Jukka Sarapää
Timmion Records
37:45
11.06.2021