Das Coole an JESSE MALIN ist der Umstand, dass der kleine Mann aus New York aufgrund einer Verquickung für ihn glücklicher Umstände gut Freund mit so ziemlich jedem Superstar aus seinem Umfeld ist – von BRUCE SPRINGSTEEN über RYAN ADAMS, BILLIE JOE ARMSTRONG oder JOSEPH ARTHUR bis hin zu LUCINDA WILLIAMS (die sowohl JESSEs letztes Album „Sunset Kids“ wie auch einige Songs des neuen Werkes mit ihrem Partner TOM OVERBY produzierte) sind da alle mit dabei – was dann regelmäßig erstaunliche Gastbeiträgen auf seinen eigenen Alben zur Folge hat. Dies wiederum führt dann dazu, dass ihm überhaupt nicht bewusst zu sein scheint, wann sein Tun mit einer Prise Größenwahn gepfeffert ist und er deswegen mit einer fast schon unbekümmerten Naivität stets zur größtmöglichen Geste und zur opulentesten Lösung greift.
Ein klassisches Doppel-Album in Angriff zu nehmen, stellte ja schon in normalen Zeiten eine gewisse Herausforderung dar, geschweige denn mitten in einer Pandemie. Aber inspiriert von LUCINDA WILLIAMS' Jukebox-Projekt und angefixt von einer eigenen wöchentlichen Live-Stream-Serie während des Lockdowns, mit der er (wie seine Unterstützerin) ebenfalls notleidende Live-Venues und die JOE STRUMMER-Foundation unterstützte, sammelte der amerikanische Rockmusiker 17 neue Songs, die er unter den Leitmotiven „Wiedergeburt und Erlösung“ zusammenfasste. In seinem Falle bedeutet das, dass er in seinen NY-Stories leicht überlebensgroße Charaktere mit einer Portion Mystik und spiritueller Inspiration auf der Suche nach dem großen Etwas durch die Straßenschluchten ziehen lässt. Besonders bemerkenswert daran ist, mit welcher Akribie er auf diese Weise so ziemlich alle Nuancen klassischer Rock'n'Roll-Phantasien souverän zu bedienen weiß.
Nur dass diese Erlebnisse für ihn keine Phantasien sind, denn Malin selber hat so ziemlich alles erlebt, was ein Rock'n'Roll-Leben mit sich bringt und ist deswegen – insbesondere bei den autobiographischen Songs wie „The Way We Used To Roll“ oder „Backstabber“ – selbst dann noch glaubwürdig, wenn er Gefahr läuft, ins Klischee abzugleiten.
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FAZIT: Konnte man JESSE MALIN früher vielleicht noch eine Prise Naivität attestieren, so kommt sein erstes Doppel-Album fast schon clever daher. Dazu gehört auch, dass er sich nach wie vor nicht scheut, seinen Idolen hemmungslos Tribut zu zollen – im Fall seines aktuellen Albums erkennbar neben SPRINGSTEEN auch THE CLASH, BLONDIE, den STONES oder den NEW YORK DOLLS. Schämen braucht er sich nicht dafür, denn zum Einen macht er das sehr gut und zum Anderen hat er ja nie behauptet, etwas wirklich Neues in Angriff nehmen zu wollen. Am Ende ist „Sad And Beautiful World“ eine brillante, versöhnliche Songsammlung geworden, an der es nichts zu mäkeln gibt, außer vielleicht, dass das Ganze nun wirklich nicht besonders modern klingt.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.09.2021
Catherine Popper
Jesse Malin
Jesse Malin, Derek Cruz
Randy Schrager
Wicked Cool Records
60:48
24.09.2021