Die siebte LP von LORD OF THE LOST ist ein klassisches Doppelalbum mit aufwändigem Konzept, in dessen Rahmen die Posterboys des zeitgenössischen (deutschen) Gothic Rock die von jeher opulente Inszenierung ihrer Musik und ihrer selbst auf denkbar spannende Weise auf die Spitze treiben können.
Die elegischen Stampf-Metaller ´Priest´ und ´The Gospel of Judas´, die den jeweiligen Beginn der beiden Hälften des Narrativs markieren, eignen sich ideal als Einleitungen zur Auseinandersetzung des Quintetts mit der Figur des Judas Iscariot nicht nur im Kontext des bekannten christlichen Evangeliums, doch "Judas" ist selbstverständlich keine wissenschaftliche Arbeit für Theologen geworden.
Im Grunde lässt sich der textliche Inhalt getrost vernachlässigen, wenngleich die leitmotivische Arbeit, die LORD OF THE LOST beim Songwriting leisteten, immer wieder auf den roten Faden stößt, der sich durchs Album zieht.
Dabei stehen im gegebenen Kontext recht minimalistischen Nummern wie ´Your Star Has Led You Astray´ und ´Argent´ den Hymnen ´Born with a Broken Heart´ (mit Chor) und ´Viva Vendetta´ (eingängigster Refrain überhaupt) gegenüber, wohingegen melancholische Uptempo-Rocker wie ´And It Was Night´ oder ´Iskarioth´ mit elektronischem Zierrat zu den Paradediszipinen der Gruppe gehören.
Selbige braucht nicht an jeder Ecke zu überraschen, sondern hat sich anscheinend eher vorgenommen, ihre kompositorischen Fertigkeiten weiter zu optimieren, denn Frontmann Chris Harms´ Stimme, die schon immer zu LORD OF THE LOSTs stärksten Posten gehört, steht so weit im Vordergrund wie selten zuvor.
Die Trümpfe der Band kommen generell optimal zur Geltung. Ganz groß sind tatsächlich die Balladen - ´The 13th´, ´My Constellation´ und ´Death Is Just a Kiss Away´ (besonders rührend mit Cello, Klavier und schließlich Orgel), letzteres mit einem fulminanten Gegenstück (´Work of Salvation´) ganz zum Schluss, welches das tragische Schicksal des "Helden" unterstreicht.
Der etwas einfallslose Singsang ´For They Know Not What They Do´, in dem die Screams und Doublebass-Parts die Aufregendste Momente markieren, das schunkelnde ´Euphoria´ sowie die schlappen Power-Balladen ´In the Field of Blood´ und ´A War Within´ sind die relativen Schwachpunkte des Doppeldeckers, womit die Überlänge von "Judas" aber immer noch gerechtfertigt ist.
In Form von ´The Ashes of Flowers´ mit orchestralem Soundtrack-Flair und dem "call and response"-Glanzlicht ´A World Where We Belong´ stehen die stärksten Tracks auf der zweiten Scheibe. derweil der dramatische Industrial Pop von ´The Heart Is a Traitor´ und ´The Heartbeat of the Devil´ sowie das treibende Metal-Outro der ersten Platte (´The Death of All Colours´) inklusive Gitarrenhelden-Solo kaum weniger fesselnd ausfallen.
FAZIT: "Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" … oder wissen sie´s doch? LORD OF THE LOST perfektionieren ihren blitzsauberen Goten-Schlager auf "Judas" ein Stück weiter, wobei ihr Songwriting mitnichten biblische Ausmaße annimmt, sondern in eine lobenswert organische Produktion eingebettet noch schneller auf den Punkt kommt als zuletzt. Konzeptplatten müssen also nicht zwangsläufig schwerverdauliche Kost sein. <img src="http://vg04.met.vgwort.de/na/71e7f4e36ff447908dc23918b43cffec" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.06.2021
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