Zurück

Reviews

Nichelodeon: Incidenti – Lo schianto

Stil: Experimentelle Vielfalt

Cover: Nichelodeon: Incidenti – Lo schianto

Eigentlich lautet die Interpretenbezeichnung zum Albums korrekt „NICHELODEON / INSONAR & RELATIVES“, doch belassen wir das Hoheitszeichen der Einfachheit halber bei NICHELODEON, da hinter jedem Projekt und seinen zahlreichen Mitstreitern Claudio Milano als Hauptverantwortlicher steckt.

„Incidenti – Lo schianto” bündelt Milanos musikalische und literarische Präferenzen zu einem mächtigen Werk. Dass die Lyrics zu “Variations On The Jargon King” von Peter Hammill stammen, kommt nicht von Ungefähr, erscheint Milanos Musik doch oft wie eine ins Extreme gesteigerte Variante der Hammillschen Alpraumwelten, in den sich verführerische Schönheit und angstbehaftete Mächte die Hand reichen.

„Incidenti – Lo schianto” ist ein in sich geschlossenes Universum, das permanent mit der unvermeidlichen Auflösung spielt. Claudio Milano verbindet Atonales mit melodischer Seligkeit, nacheinander gespielt, aber oft auch gleichzeitig. So werden kleine, beseelte Folk-, Weltmusik-, Klassik- und Rockskulpturen brüchig erstellt, während Milano seine Texte seziert. Er flüstert und schreit, zerdehnt seine Lyrics zu Wortschlangen, kiekst und brüllt wie ein besessener Metalshouter, weiß aber auch sanfte Töne wie Obertongesang zu schätzen. Oft werden die Vocals vervielfältigt, unterstützen sich oder gegeneinander an, kämpfen bis zur schlussendlichen Vereinigung. Bei zwei Stücken übernimmt Sopranistin Laura Catrani die Exerzitien und bringt vermeintlichen Sangeselfen der Symphonic Metal-Fraktion das Fürchten bei.

Die Musik dazu ist ein breit aufgestelltes Experimentierfeld. Neoklassik, Folk, Chanson, Jazz, (Progressive)-Rock und Metal treffen aufeinander und lösen sich ab, oft unvermittelt und nur sekundenlang. Da werden nervenzerrende Erzählmomente von einer fragilen Akustikgitarre begleitet, dann tirilieren wieder helle Flötenklänge und ködern mit scheinbarer Harmlosigkeit, bis sie klirrend zerschellen.

Mit Metallischen Attacken wird ein nahender Climax angetäuscht, der dann doch unbefriedigt im Nirgendwo verpufft. Oft erinnert die Musik an KING CRIMSONs Projekte (sämtliche Phasen), in einen Häcksler geschmissen und anschließend neu zusammengesetzt. So changiert „Incidenti – Lo schianto” zwischen Betörung, Aufruhr und Nächten in Schrecken. Die Vielen sind eins.

FAZIT: “Incidenti – Lo schianto” ist bei einer Lauflänge von über 70 Minuten anstrengend und eine Herausforderung. Doch das passende Album zu den aktuellen Zeitläufen und ein adäquates Mittel gegen mainstreamiges Einlullen. Und trotz aller Dissonanzen eines der zugänglichsten Werke Claudio Milanos. Der Musiker macht Ernst mit seiner Experimentier- und Forscherlust, permanent und ohne Rücksicht auf Verkaufbarkeit oder liebgewonnene Hörgewohnheiten. Das beeindruckt auch diesmal wieder.

Die CD-Ausstattung ist vorbildlich, zum kreativ gestalteten Digipack gibt es ein erläuterndes Textheft und drei Papp-Buttons/Aufkleber.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.12.2021

Tracklist

  1. Not Me - Non Esistono (Senza Valore #1) (3:31)
  2. NichelOdeon - How Hard Tune! La canzone dei soli (Senza Valore #2) (2:38)
  3. This Order - Variations on The Jargon King (Senza Valore #3) (5:22)
  4. NichelOdeon - Il Barbiere degli Occhi (Senza Valore #4) (7:36)
  5. Not Me - Con Dedica (Senza Valore #5) (2:55)
  6. Not Me - Senza Ritorno (Senza Valore #6) (3:22)
  7. NichelOdeon - La Scatola (Senza Valore #7) (6:49)
  8. NichelOdeon - L'ultima Sigaretta - Fantasmi ad Argun (Senza Valore #8) (5:22)
  9. NichelOdeon - Idiota - Autoritratto (Tadzio's Death - Senza Valore #9) (2:42)
  10. This Order & Coucou Sèlavy - Ho Gettato mio Figlio da una Rupe perché non Somigliava a Fabrizio Corona (Senza Valore #10) (12:11)
  11. Not Me - Sabbia Scura (Senza Valore #11) (4:11)
  12. Not Me - Del Mondo gli Occhi - New Moses (Senza Valore #12) (1:03)
  13. InSonar - Nyama - Gettarsi Oltre (Senza Valore #13) (10:10)
  14. NichelOdeon - La Montagna e il Trono (Senza Valore #14) (5:17)
  15. Not Me - Out Let - Viae di (s)PHjga (Senza Valore #15) (3:36)

Besetzung

  • Bass

    Camillo Pace, Andrea Grumelli, Andrea Quattrini, Mimmo Frioli, Giovanni D' Elia, Fulvio Manganini

  • Gesang

    Claudio Milano, Laura Catrani, Massimo Silverio, Coucou Sèlavy, Dalila Kayros, Cinzia La Fauci, Stefano Luigi Mangia, Paola Tagliaferro, Paola Tozzi

  • Gitarre

    Daniele Onori, Massimo Silverio, Vittorio Nistri, Stefano Ferrian, Danilo Camassa, Mauro Corvaglia, Claudio Pirro, Lorenzo Sempio

  • Keys

    Claudio Milano, Stefano Giannotti, Vincenzo Zitello, Vittorio Nistri, Gianni Lenoci, Francesca Badalini, Fabio Amurr, Max Pieretti, Marco Lucchi, Jody Bortoluzzi, Franco Poggiali

  • Schlagzeug

    Claudio Milano, Stefano Giannotti, Andrea Murada, Alessandro Palma, Ivano Nardi

  • Sonstiges

    Claudio Milano, Paolo Siconolfi, Dalila Kayros (field recordings), Paolo Siconolfi, Andrea Quattrini (electronics), Erica Scherl (violin) - Evaristo Casonato (oboe, flutes, saxophone, English horn), Paolo Tofani Krsna Prema (iPad), Vincenzo Zitello (theremin), Massimo Silverio (cello), Pierpaolo Spirangle Caputo (electrified self-built ghironda),Paola Tagliaferro (zither), Raoul Moretti (electrified harp), Domenico Liuzzi (tenor saxophone, bassoon), Sisto Palombella, Ulisse Tonon (accordions), Luca Olivier

Sonstiges

  • Label

    Snowdonia/Audioglobe

  • Spieldauer

    76:45

  • Erscheinungsdatum

    11.09.2021

© Musikreviews.de