Das Electronic-Art-Dream-Pop-Projekt der Schweizer Musikerin DANIELA WEINMANN geht in die zweite Runde und verfolgt damit genau dieselbe Absicht wie das <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2018/Odd-Beholder/All-Reality-Is-Virtual/" target="_blank" rel="nofollow">'Schau mir in den Hintern'-Album „All Reality Is Virtual“</a> zuvor. Kunstvolle Pop-Musik voller elektronischer Spielereien und Dream-Pop-Elementen zu schaffen, die auch textlich eine Geschichte zu erzählen haben, welche in ihrer Gänze wie die Filmmusik zu einem nicht vorhandenen Film erscheinen. Geht's dieses Mal wieder um seltsame Ärsche, die sich ganz der virtuellen Realität ausgeliefert haben oder wird es doch etwas züchtiger und natürlicher zugehen?
Also Arsch hin oder her, dieses Album kommt jedenfalls vorerst als Sahneschnittchen daher, zumindest wenn man das Cover ernst nimmt.
Doch sahnige Themen sind auch diesmal – und waren es ja noch nie – nicht das Weinmann-Ding. Dafür werden es vielmehr die Virus-Neurosen und all die damit verbundenen Merkwürdigkeiten, welche uns tagtäglich belasten: Entfremdung, Verlust, Missverständnisse, Emanzipation der besonderen Art (die einen männlichen Kritiker in dieser kompromisslosen Art durchaus auch nerven kann), aber auch die Hoffnung auf eine bessere Welt, in der aber Sahneschnitten auch nur zur Verfettung und Verführung, aber nicht zur emotionalen Erfüllung führen. Die synthetischen Klänge der Popmusik von ODD BEHOLDER sind darum wieder mehr die dunklen und melancholischen oder verträumten. Nichts mit Hoppel-Pop und Poppel-Hop…
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/AE3DVuJfSsU" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
Nein, das was wir hier zu hören bekommen, lässt uns an die wunderbaren HUNDREDS oder in gewissen Momenten an SIGUR RÓS und EFTERKLANG denken. Nicht nur von der Art der Musik her, sondern auch der Großartigkeit der Produktion und des Sounds.
Inhaltlich wendet sich auf „Sunny Bay“ das Blatt deutlich. Denn es ist nicht mehr die allumgreifende Digitalisierung, die eine Rolle spielt, sondern vielmehr die immer stärker verdrängte Natur. Der Weinmann-Blick löst sich vom Bildschirm des letzten Albums in Richtung Fenster, von wo aus sich die Natur verbreitet. So werden uns auch ein paar Brummer begegnen, die in einen Song eingebaut werden oder eben die Feststellung der Musikerin, die in „Birds“ die Vögel am Bahnsteig beobachtet, während: „And the people on the station / Bend their heads as if in prayer / Looking for angels in their phones“.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/W6fwljWCAj0" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
Oftmals klingt aus dem traurigen Electro-Pop ein wenig Fridays-For-Future-Verzweiflung heraus, die auch dadurch befeuert wird, dass während der Aufnahmen des Albums, die unter Corona-Bedingungen im gänzlichen Alleingang erfolgten, Daniela Weinmann nicht nur das Fragile der Natur als solches gefährdet sieht, sondern auch die Bedrohungen, welche das Leben in der Natur selb(stz)er(störerisch) hervorbringt. Dazu schreibt sie nicht nur die Musik, sondern bietet als Erklärung eine kleine Anekdote über den Kauz, den sie vom Fenster aus beobachtet, an, die deutliche Eindrücke in „Accept Nature“ hinterlassen hat: „Der Kauz ist unfassbar niedlich. Aber er ist eine Killermaschine. Unter seinem Baum liegen jede Menge Skelette. Ich kann hier den kompletten Zyklus von Leben und Sterben in all seiner Langsamkeit und Unerbittlichkeit zusehen. Die Natur macht einfach ihr Ding, sie ist unkontrollierbar, nicht zu planen.“
Damit ist im Grunde die gesamte Stimmung hinter „Sunny Bay“, die nichts mit sonnigen Stränden und Tourismus-Flair, sondern eher denjenigen zu tun hat, die unter dem Luxus der Anderen zu leiden haben. Und das beginnt schon bei einem mörderischen Flug hin in die Sonne, wenn der zum „Transatlantic Flight“ mit tödlichem Ausgang wird.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/CpamzjRW0hM" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
FAZIT: Wenn Sahnetorten schwimmend das Weite suchen und die Schweizer Musik-Performerin Daniela Weinmann mit ihrem Solo-Bandprojekt ODD BEHOLDER voll auf die Natur im Electro-Pop-Gewand setzt, dann lädt ihr „Sunny Bay“ nicht als Tourismusattraktion, sondern als trauriger, dunkler Ort der nachdenklichen Klänge und des verführerischen Dream-Pops ein. Frau Weinmann möchte in ihrer Kunst auch böse sein dürfen und zerstörte Träume präsentieren. Und das gelingt ihr auf diesem finsteren Album, großartig klingend, gepresst auf weißem Vinyl, rundum überzeugend. So gut kann das zerstörerisch Böse eben nur bei ODD BEHOLDER klingen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.10.2021
Daniela Weinmann
Daniela Weinmann
Sinnbus
42:29
10.09.2021