Alljährlich bietet die Musikbranche Genre-übergreifend Programmalben zu Weihnachten in Hülle und Fülle, doch 2021 dürften selbst anspruchsvollste Gemüter diesbezüglich weniger Grund zum Klagen bekommen als in früheren Jahren. Warum beispielsweise im Jazz Künstler wie Till Brönner oder Ibrahim Maalouf mit spannenden Christmas-Platten aus den Pötten kommen, während es auch im Rockbereich vom Fest der Liebe entkoppelt hörenswerte Veröffentlichungen gibt, können und müssen wir hier nicht erklären. In jedem Fall reiht sich Paul Gilbert erst wenige Monate nach seinem jüngsten offiziellen Studioalbum mit einem Release für den Gabentisch in den bunten Reigen ein.
Das eröffnende ´Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!´, ein satter Fusion-Rocker vom Format der Dixie Dregs, stellt die Stimmungsweichen für den gesamten Rest, wobei die witzige Schunkel-Nummer ´Three Strings for Christmas´ (worauf sich der Künstler hier limitiert hat, dürfte anhand des Titels klar sein) als eine von zwei selbst komponierten Gilbert-Tracks hervorsticht. Warme Orgel-Sounds prägen das Geschehen im Verlauf ständig, und das Keksdosen-Orchester während ´Hark! The Herald Angels Sing´ weist auf den spontanen Charakter des Projekts hin, an dem mehrere von Gilberts musikalischen Freunden mitgewirkt haben, ohne dass er sie konkret nennen müsste. Das Drumherum ist in jedem Fall tatsächlich nebensächlich, da die sowohl gefühlvollen als auch teils erwartbar virtuosen Lines des Sechssaiters gemeinsam mit einigen pfiffigen Arrangements respektive Umstrukturierungen der Originalfassungen im Brennpunkt stehen.
´Rudolph the Red-Nosed Reindeer´ poltert und stampft wie eine Mischung aus Led Zeppelin und Supertramp, falls sich jemand etwas unter einem solchen Hybriden vorstellen kann, doch das angeblich nur auf roten, grünen und weißen Ibanez-E-Gitarren eingespielte Material umfasst auch Paradebeispiele für den Schalk im Nacken des amerikanischen Musikers - allen voran vielleicht ´Frosty the Snowman´ - erst eine elegische Ballade ohne rhythmische Begleitung, dann freudig tänzerisch und schließlich ein lässiger Shuffle.
´Silver Bells´ ist hingegen ein slower Blues zum engumschlungenen Tanz mit der oder dem Liebsten. Die Hauptmotive (meistens melodischer Natur) lassen sich nicht immer erkennen, weil Paul sie mal ihrem jeweils ursprünglichen Kontext enthebt und umso häufiger tonal oder rhythmisch ummodelt. So kommt es, dass nicht wenige Tracks durchaus ebenfalls als eigene Kompositionen des Barden aufgefasst werden könnten.
FAZIT: Sollten gestandene Rocker eine Weihnachtsscheibe brauchen und dabei auf Gesang verzichten können, dürften sie an ´TWAS" (kurz für "it was" in Anspielung auf den alternativen Titel des 1823 anonym geschriebenen Gedichts "A Visit from St. Nicholas", dessen Urheberschaft schließlich der amerikanische Orientalist und Gräzist Clement Clarke Moore für sich beanspruchte) ihre helle Freude haben. <img src="http://vg07.met.vgwort.de/na/cc70dee7ad59425593882e77682a7a3c" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.11.2021
The Players Club / Mascot / Rough Trade
58:38
26.11.2021