Viel zu oft erwischt uns im Leben und unserem Alltag immer wieder 'Murphys Gesetz', welches besagt, dass in etwa so alles, was in die Hose gehen kann, tatsächlich auch in selbige geht. Also stehst du in einem Häufchen Hundescheiße, dann kommt garantiert der Hund nochmal, um dich auch noch anzupinkeln.
PAULA & KAROL haben für diesen Anschiss-Automatismus einen neuen Begriff erfunden und daraus gleich eine ganze LP gemacht: „Lifestrange“. Oder besser, das gesamte Album dreht sich um das Unerwartete, das eintritt, ohne dass man sich richtig darauf einstellen konnte. So wie beispielsweise eine Pandemie.
Also macht man einfach das Beste daraus – oder eine Platte…
PAULA & KAROL sind ein musikalisches Pärchen, mit räumlichem Abstand, aber musikalisch riesiger Nähe, die da gefühlvolle, durchaus ironische und echt ansprechend-anspruchsvolle Pop-Musik heißt.
Die Eine kommt aus Hamburg, ist sogar Professorin für die Soziologie der Digitalisierung in St. Gallen und der Andere ist DJ, Komponist, Produzent und Konzertagent in Warschau.
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Geschrieben wurden alle Songs auf „Lifestrange“ noch vor der Pandemie – allerdings einer Zeit, in der speziell in Polen die politischen und sozialen Zustände ziemlich grenzwertig und größere Umbrüche abzusehen waren. Das kommt auch deutlich in einigen der Texte zum Ausdruck, die alle auf der Innenhülle der LP abgedruckt sind, und noch stärker in dem von den Beiden verfassten Begleittext zum Ausdruck, der mit den Worten endet: „Und als letztes hoffen wir, dass euch dieses Album zu ein wenig Erholung, Normalität und Kameradschaft in diesen schweren Zeiten verhilft. Eben weil… 'Lifestrange!'“
Ja, fertig geschrieben waren die Songs, doch dann kam… Genau, Frau Covid und Herr 19, die etwas dagegen hatten, die soweit fertigen Songs auch unter normalen Bedingungen aufzunehmen. Darum kann man den Prozess der Entstehung von „Lifestrange“ in zwei Etappen unterteilen:
* Vor Beginn der Pandemie mit kompletter Band im Studio &
* Während der Pandemie, bei der jedes einzelne Bandmitglied im Studio allein mit dem Tontechniker Jacek Trzezczynski seinen Part aufnahm.
Als das erledigt war, wurde alles in Utrecht gemeinsam mit PAULA & KAROL produziert und remastert, wobei ein wirklich sehr guter Sound herauskam und man echt nicht bemerkt, welche Songs als Band oder im Alleingang im Studio eingespielt wurden.
Bereits der Album-Opener „Safe From Harm“ geht mit seiner eingängigen Melodie, dem fetten Bass und seiner leicht asiatisch anmutenden Stimmung sofort ins Ohr. Und dass die PAULA & KAROL richtig gut singen können und ihre unterschiedlichen Stimmlagen sich genauso gut ergänzen, hört man ebenfalls sofort. Allerdings ist das „Du dup du du du du du dup“ am Ende des Titels überflüssig.
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Besonders beeindruckend aber ist der letzte Song der A-Seite. „Better News“ weckt tatsächlich Erinnerungen an ROGER WATERS der auf SIMON(E) – des weiblichen Gesangs wegen – & GARFUNKEL trifft. Schade, dass der Titel so kurz ist, denn er ist zugleich der beste.
Oft wird auch der „A Little Time“-Charme der BEAUTIFUL SOUTH versprüht und natürlich viel HALL & OATES oder sogar das Americana-Feeling von CHRIS & CARLA (WALKABOUTS). Da kommt viel Freude auf, selbst wenn die Hintergründe des Albums mitunter nicht nur auf Friede-Freude-Eierkuchen-Themen setzen.
„Memories“ bekommt beispielsweise eine Prise Psyche plus viel Americana verpasst und verbreitet textlich eine sehnsüchtige Stimmung wie Lennons „Mother“.
„Better News“ bringt die vage Hoffnung ins Spiel, bei all den miesen Alltagserfahrungen auch mal etwas Gutes zu vermelden. Doch diese Hoffnungen ertrinken schnell im Zweifel: „Please be strong / Ther's nothing I can do“.
Und auch die „Good Old Days“ sind am Ende nur die vor Schutt gegangenen Träume, die nicht wahr werden, sondern zynisch zu dem Schluss kommen: „When the world ends I could do what I want“. Optimismus sieht zwar anders aus, klang aber trotz allem Pessimismus selten besser als auf dieser viel zu kurzen halbstündigen LP.
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FAZIT: Manchmal ist das Leben so hart und zugleich schön. Genauso wie die Pop-Americana-Folk-Musik von PAULA & KAROL, die gerne auch mal ein paar Psyche-Ideen verbreiten darf. Wieder mal so eine schlummernde Entdeckung, die man gerne aufwecken darf, damit sie nicht am Ende das zum Ausdruck bringt, was uns der Albumtitel „Lifestrange“ mit seiner Wortneuschöpfung (Der Germanist spricht von Neologismus und fühlt sich wohl dabei, obwohl er doch wissen sollte, das fast alle -ismus-Worte letzten Endes nur Scheiße verheißen...) zu vermitteln versucht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.10.2021
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29:16
18.06.2021