<b>„Es ist fast 50 Jahre her, dass 'Pawn Hearts' im Oktober 1971 veröffentlicht wurde, im selben Monat, in dem der allererste Mikroprozessor-Chip auf den Markt kam. Sogar der bescheidene Taschenrechner hatte noch keinen großen Auftritt und ein UKW-Radio im Auto war in der Regel ein optionales Extra. Es fällt heute schwer, sich an eine Welt zu erinnern, in der die Technologie zur Aufnahme von Musik ausschließlich aus Tonbandgeräten bestand. In den Trident Studios gab es eine makellose Hammond C3 und das, was als 'das beste Rock'n'Roll-Piano aller Zeiten' beschrieben wurde: ein altes Bechstein-Klavier, auf dem das Spielen immer ein Vergnügen war. Ich glaube alle vier von uns haben in unterschiedlichem Maße Klavierparts beigesteuert.“</b> (HUGH BANTON – Keyboarder von VAN DER GRAAF GENERATOR)
Die zweite 3-Disc-Edition von VAN DER GRAAF GENERATOR, welche im Rahmen <a href="http://www.musikreviews.de/news/Sensationelle-Riesen-Box-von-VAN-DER-GRAAF-GENERATOR-/4851/" target="_blank" rel="nofollow">der luxuriösen 20 Disc Box</a> separat als pompöse Extra-Deluxe-Ausgabe, bestehend aus zwei CD's mit unterschiedlichen Mixen von „Pawn Hearts“ sowie Bonus-Aufnahmen und einer DVD mit dem High Resolution 5.1 Surround Sound Mix sowie dem New Stereo Mix und dem Original Stereo Mix des Albums sowie einem 24 Seiten starken Booklet im dreiflügeligen Digipak aufwartet und genau die hohen Ansprüche, welche bereits bei der ersten Auskopplung von „H To He Who Am The Only One“ geweckt wurden, zu 100 Prozent erfüllt.
Schon kurz nach dem großartigen <a href="http://musikreviews.de/reviews/2021/Van-Der-Graaf-Generator/H-To-He-Who-Am-The-Only-One--3-Disc-Special-Edition/" target="_blank" rel="nofollow">„H To He Who Am The Only One“</a> holen im Jahr 1971 VAN DER GRAAF GENERATOR mit „Pawn Hearts“ zu einem weiteren Paukenschlag in der progressiven Rock-Szene aus, der in seiner Einzigartigkeit ein echtes Alleinstellungsmerkmal besitzt. Noch dazu enthält „Pawn Hearts“ mit dem 23-minutigen „A Plague Of Lighthouse Keepers“ den längsten, umfassendsten, zugleich eine Vielzahl von Extremen auslotenden, textlich gruseligen (Es geht darin um Ängste, den Tod, Bedrohungen und Geistererscheinungen aus der Sicht sowie Empfindlichkeit eines Leuchtturmwärters.) Longtrack, den die britischen Prog-Mannen je ablieferten und der ein wahrhaft episches Meisterwerk geworden ist, welches in jeder Liste der besten Prog-Longtracks unweigerlich auftauchen müsste.
Mit zwei weiteren Longtracks, den elf- und zwölfminutigen „Lemmings“ und „Man Erg“ startet das Album schon ordentlich durch. Der Album-Opener, wieder mit gigantischen Saxophon-, aber auch Keyboard-Einlagen und erneut Gitarren-Passagen der Crimson-Kopfes ROBERT FRIPP versehen, erinnert mit seiner speziellen Experimentierfreudigkeit sofort an GENTLE GIANT. Auch wird es textlich wieder sehr, sehr bedrückend, regelrecht depressiv, denn es geht um einen verzweifelten Typen, der am Rande eines Abgrundes steht und darüber nachdenkt zu springen, weil aus seinem Blickwinkel alles nur finster, bedrückend und nutzlos erscheint: „Don't ask us for an answer now, / It's far too late to bow to that convention. / What course is there left but to die? […] What cause is there left but to die? /I really don't know why.“
Aber – und das überrascht fast bei den of düsteren Hammill-Lyrics – am Ende gibt es sogar noch einen hoffnungsvollen Ausblick: „What choice is there left but to live to save the little ones? / What choice is there left but to try?“
„Man Erg“ beleuchtet die Bestie, die in uns schlummert und urplötzlich zum Vorschein tritt. Darum beginnt der Song sehr harmonisch, auf Bantons faszinierendem Keyboardspiel basierend, um knallhart und unerwartet auszubrechen, indem Schlagzeug und Gitarre die Dynamik übernehmen, sie vorantreiben, wobei auch der Gesang ein wildes Spielchen treibt, bis dann die Bestie wieder in einem begraben und das Tempo herausgenommen wird. Ein idealer Titel, um „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ zu vertonen.
Insgesamt kommt „Pawn Hearts“, ansatzweise auch durch die deutlich intensivere Mitarbeit von ROBERT FRIPP, den frühen Alben von KING CRIMSON, speziell „In The Wake Of Poseidon“, das knapp ein Jahr vor „Pawn Hearts“ erschienen war, am nächsten.
Für das Artwork zeichnete sich erneut Paul Whitehead verantwortlich. Allerdings in diesem Falle ein deutlicher Rückschritt in Form einer unausgegorenen Collage, die zwar anno 1971 noch schwer zu verwirklichen war, aber deutlich hinter der hohen Qualität der Musik zurückbleibt.
FAZIT: „Pawn Hearts (1971) – 3-Disc Special Edition“ von VAN DER GRAAF GENERATOR ist das zweite von insgesamt vier Alben, das im Rahmen der großartigen Veröffentlichungsoffensive „The Charisma Years 1970-78“ als sehr hochwertige Version erscheint, die aus zwei CD's mit verschiedenen Stereo-Mixen plus Bonustiteln sowie einer DVD mit Surround- und digitalen Stereo-Abmischungen besteht. Verpackt sind die drei Tonträger in einem vierflügeligen Digipak samt einem 24-seitigen Booklet voller Fotos und umfangreichem Begleittext. Ein unverzichtbares VDGG-Album in einer neuen, für alle Fans von VDGG unverzichtbaren Version, die aus dem 1970er-Album klanglich das Letzte herausholt und mit der 5.1-Surround-Abmischung zugleich ein völlig neues Hörerlebnis offenbart.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.09.2021
Hugh Banton
Peter Hammill, Hugh Banton, David Jackson
Peter Hammill, Robert Fripp
Hugh Banton, Peter Hammill
Guy Evans
David Jackson (Alt-, Tenor- und Bariton-Saxophon, Flöten)
Virgin Records/Universal Music
CD's – 123:17 / DVD – 159:57
03.09.2021