<b>„Wenn ich Musik mache, wenn ich singe und wenn das Instrument von selbst zu klingen beginnt, ist es, als wäre ich in einer anderen Welt – einer Zwischenwelt.“</b> (Aglaja Camphausen im Inneren des LP-Klapp-Covers zu „underwater calling“)
Willkommen in der 'Zwischenwelt' der Sängerin und Cellistin AGLAJA CAMPHAUSEN und des Kontrabassisten THOMAS FALKE. Beide haben sich für „underwater calling“ – genau hier scheint ihre musikalische Unterwasser-Zwischenwelt zu liegen – zusammengetan und sich auf den musikalischen Minimalismus aus Kontrabass, Vioncello und Stimme geeinigt, dessen Stärke tatsächlich in der Reduktion liegt. Denn diese hebt genau das hervor, worauf es auf diesem Album ankommt: den Gesang von AGLAJA CAMPHAUSEN, der diesen Kammer-Folk-Jazz-Pop (Wie es das Platten-Label Meyer Records selber so schön bezeichnet…) ausmacht.
Die ausgewiesenen Camphausen-Vorbilder sind zwar CHARLIE HADEN und MILES DAVIS, hört man aber die hier gewählten Cover-Songs von beispielsweise TOM WAITS, WILLIE NELSON, TIM HARDIN und anderen, dann begibt sie sich tief in die verrauchten Bars und Pubs und Clubs, in denen die Musik in den Sechzigern und Siebzigern genauso wichtig war wie der Fusel, den man dabei in sich hineinkippte, getreu dem WAITSschen Motto: „My Piano Has Been Drinking, Not Me“. Nur dass die Camphausen ihre Stimme so deutlich intoniert, sie in den unterschiedlichsten Facetten phrasiert und mit so viel Gefühl vorträgt, dass sie niemals erst, wie beispielsweise dem guten Tom, erst einmal mit Alkohol 'geschmiert' werden muss. Das hat tatsächlich auch eine klassische Seite, die da mitklingt und sich wieder und wieder über die Instrumente erhebt, um denen dann auch ihre eigenen kleinen Soli einzuräumen. Singende Instrumente so gesehen, die mal Begleiter und dann wiederum klingende Solisten sind.
In einem sehr langen Text im Inneren des Gatefoldcovers von „underwater calling“ erzählt AGLAJA CAMPHAUSEN über ihr Leben und wie sie zur Musik kam und was diese Musik in ihr auslöst. Auch ein Interview findet man dort, in dem sie noch ausgiebiger über Musik spricht und auf die Frage, was gute Musik für sie ausmacht, antwortet: „Musik muss mich emotional und intellektuell erreichen. Und am besten ist es, wenn darin auch noch eine Geschichte erzählt wird.“
So 'erzählt' sie gemeinsam mit Thomas Falke auf „underwater calling“ zwar die Geschichten Anderer, aber auf ihr ganz eigene musikalische Art und mit einer warmen und klaren Stimme, die man nicht vergisst.
Im Klappentext stellt die Sängerin zugleich dar, worin diese Wirkung, die ihre Stimme entfaltet, liegt und welchen Mut man dabei aufbringen sollte: „Ich wage es, eine Farbe deutlicher leuchten zu lassen, ein Gefühl stärker zu fokussieren, einen Klang zu nuancieren. Ich trübe oder lichte die Stimmung leicht: blass oder strahlend, laut oder leise, sanft oder brutal, pastellig oder grell oder irgendwas dazwischen. Damit beginnt meine Fantasiereise in die Anderswelt, in der ich vorsichtig mit der Entrückung umgehen muss, um sie nicht aus Versehen zu stören.“
Doch nicht nur das ist eine besonders Stärke dieser LP – speziell ist es auch der absolut faszinierend Sound, der wahrhaft preisverdächtig ist, weil gerade in solchen ruhigen, emotionalen Songs, die so minimalistisch instrumentiert und zugleich gigantisch gesungen werden, eine ideale Abstimmung die ganz hohe Kunst begnadeter Techniker verlangt wird. Auf „underwater calling“ ist genau diese Kunst auf die Pike hin geglückt und verleiht der Wirkung dieser 10 Songs eine zusätzliche Dimension, die übrigens mit dem letzten IAN TYSON-Song „Four Strong Winds“ ihr ganz großes Finale erfährt, da hier zudem der Bass und das Cello neben der Stimme ihre ganz speziellen Soli erhalten und das alles ohne ein Nebengeräusch oder irgendwelches Rauschen. Da fragt man sich am Ende, wenn die LP nach gut 40 Minuten verklingt, wie das alles nur auf so hohem Niveau möglich ist. Und selbst wenn die Antwort nur der Wind kennen sollte, die Klänge unter Wasser entfalten bei AGLAJA CAMPHAUSEN und THOMAS FALKE ihr ureigenes Universum. Musikalische Korallen für die geschundene Seele.
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FAZIT: Die Sängerin und Cellistin AGLAJA CAMPHAUSEN und der Kontrabassist THOMAS FALKE begeben sich auf „underwater calling“ mit ihren beiden Instrumenten und der schwer beeindruckenden Camphausen-Stimme auf eine musikalische Reise der besonderen Art. Gerade durch das Zusammenspiel beider Instrumente, ohne unnötiges Aufblasen der Songs, die im Original beispielsweise von TOM WAITS und WILLIE NELSON stammen, entfaltet diese LP eine besonders intime Wirkung, die zusätzlich über eine absolut hervorragende Produktion und einen Sound besticht, der nicht mehr zu überbieten ist und jeden Vinyl-Freund glücklich macht. Oder um es mit den Camphausen-Worten, die im Inneren des LP-Klappcovers zu finden sind, auszudrücken: „Ich wünsche euch Assoziationen und Ausflüge in Fantasiewelten beim Hören dieses Albums. Die Hauptsche ist immer die Musik – und für die gilt: 'Berührend ist, was einen berührt'.“
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.01.2022
Thomas Falke
Aglaja Camphausen
Aglaja Camphausen (Vioncello)
MEYER RECORDS Kitchen Recording Series/Rough Trade
40:11
14.01.2022