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Atem: Concrete Americana

Stil: Instrumental, Americana

Cover: Atem: Concrete Americana

Instrumentalmusik ist (fast) immer Kopfkino. Die einzige Hürde, die den Hörergeist vom komplett selbstkreierten Film abhalten könnte, ist das Cover des jeweiligen Albums. Im Falle von ATEM, dem neuen Projekt von Jan Korbach (u.a. NEÀNDER), wird diese Hürde aber durch ein gleichzeitig viel- und nichtssagendes Selbstportrait als erster Blickfang gekonnt umgangen. Ein Mann mit Gitarre kann schließlich viel heißen…

Mit ATEM nimmt der Musiker den Hörer mit auf einen Streifzug durch seine ganz eigene Westernkulisse. Diese musikalische Prärie ist menschenleer, aber nicht trostlos. Sie ist der Raum, in dem sich die Seele langsam durch die eigenen (Un)Tiefen vorantasten darf, um herauszufinden, was ihr Zweck ist.

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Diese Suche nach einer Bestimmung zweigt immer wieder in dunkle Saloons ab, an deren Theken die Wüstenluft ihren Schleier auf den letzten Schluck Whiskey legt. Währenddessen ist nie ganz klar, ob man jetzt ein gesuchter Outlaw mitten im Versteckspiel vor den Sheriffs oder doch 'nur' sowas wie ein Straßenmusiker ist, der mit seiner Gitarre bewaffnet, um ein Leben kämpft.
Das Pferd ist aber ein treuer Begleiter, denn „Velvet“ klingt nach einem abendlichen Ritt durch die Prärie. Vielleicht auch ein wenig nach der Flucht vor sich selbst. Den Blick in den sternenklaren Nachthimmel gerichtet ziehen Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wo will ich hin?“, „Was ist das Leben?“ vor dem geistigen Auge auf.
Die Antworten bleiben aber fern, oder verschwinden genauso unerwartet, wie die Fragen aufgetaucht sind.

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Und doch ist da eine vage Gewissheit, dass alles gut werden wird. Dass der jetzige Platz im Leben einen Sinn hat, auch wenn „Scorpio“ nicht erklärt, wo oder was genau dieser Platz ist.
Dass „Gold“ aber nicht zwingend einen Schatzfund im materiellen Sinn vertont, dürfte schnell klar werden. Vielmehr klingt es nach Sehnsucht, nach dem gewünschten Clou, um ein sorgloses Leben führen zu können. Es wirkt aber auch so, als ob dem Protagonisten von vornherein klar ist, dass seine Nuggets immer im Dreck liegen werden.
Und schließlich zieht die Nacht über das doch nicht so leere Fleckchen Steppe herein. „By Night“ ist der wohltuende Tropfen Selbstgebrannter, der den Schlaf unter freiem Himmel erträglich macht. Oder es ist die Versöhnung mit dem eigenen Vagabunden-Leben, das unterm Strich eigentlich gar nicht so schlecht ist. Denn Freiheit kennt bekanntlich keine Grenzen außer dem Sternenzelt, das funkelnd über dem Protagonisten wacht, während er von der wohligen Wärme seines Schlaftrunks in den Traum entsandt wird.

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FAZIT: Wie gesagt: Instrumentalmusik ist immer auch Kopfkino und „Concrete Americana“ erzeugt Bilder eines Wildwest-Streifens, der aber weder großartig gefährlich, noch unnahbar wirkt. ATEM sind persönlicher Kampf und Erlösung zugleich und für den Hörer eine knapp halbstündige Reise in die eigenen (Western-)Fantasien.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.11.2022

Tracklist

  1. The Pilgrim
  2. Revanche
  3. Cold Flow
  4. Concrete Americana
  5. Velvet
  6. Scorpio
  7. Gold
  8. By Night

Besetzung

  • Bass

    Jan Korbach

  • Gitarre

    Jan Korbach

  • Keys

    Konrad Betcher, Patrick Zahn

  • Schlagzeug

    Jan Oberg

  • Sonstiges

    Jan Korbach, Jan Oberg (Percussions), Philipp Thimm (Cello)

Sonstiges

  • Label

    Through Love Records/The Orchard

  • Spieldauer

    26:57

  • Erscheinungsdatum

    04.11.2022

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