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Behemoth: Opvs Contra Natvram

Stil: Black / Death Metal

Cover: Behemoth: Opvs Contra Natvram

Adam „Nergal“ Darski stilisiert sich und BEHEMOTH von jeher gern als Inbegriff des Rebellischen, meistens im Sinne von Luzifer als Gegenspieler Gottes, der dabei für alles Etablierte, vermeintlich gute und in der Heimat der Band auch ganz konkret das erzkonservative Christentum steht. Fürs zwölfte Album der Polen ist nun der römische Sklave und Gladiator Spartakus der Aufhänger, doch dergleichen konzeptionelle Erwägungen sind kosmetische Details im Verhältnis zur Musik an sich, die auf „Opvs Contra Natvram“ deutlich stimmiger und packender ausfällt als auf dem Vorgänger „ I Loved You at Your Darkest“ von 2018

Während BEHEMOTHs Abrechnung mit allem, was im wahrsten Sinn des Wortes heilig ist, einen persönlicheren Unterton als je zuvor annimmt (Nergal sagt, es sei dem Älterwerden und Bewusstsein geschuldet, dass er nicht ewig leben wird), strahlen die Songs von „Opvs Contra Natvram“ eine ähnliche Dringlichkeit aus wie das Material von „The Satanist“ (2014), bloß ist die Atmosphäre eine andere, die Band hörbar gereift, und der Sound dank Produzent/Mixer Joe Barresi (Queens of the Stone Age, Nine Inch Nails, Alice in Chains,Tool) schlicht der beste, den die Gruppe jemals (!) auf einem Studioalbum hatte.

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Die zehn Tracks reißen einzeln für sich mit, erzeugen aber vor allem am Stück gehört eine Sogwirkung, der man sich selbst als Skeptiker in Bezug auf BEHEMOTH nur schwerlich entziehen kann. Nach dem beschwörenden Intro ´Post-God Nirvana´ entpuppt sich das nicht einmal zweieinhalb Minuten lang aufschreiende ´Malaria Vvlgata´ als akustischer Befreiungsschlag, als müsse der Bandkopf und Freigeist nach weiteren Gerichtsprozessen und Anfeindungen von allen Seiten (nicht zuletzt auf Social Media) buchstäbliche Spartakus-Ketten sprengen.

Nun da der Knoten geplatzt ist, darf die Wut im Folgenden auch mal nur unter der Oberfläche schwelen, wodurch Raum entsteht für – tatsächlich – Verletzlichkeit und etwas Nahbares, das man so noch nicht von BEHEMOTH vernommen hat. „I am nothing“, heißt es im eingängigen ´The Deathless Sun´ wiederholt, und während des von einem abgeschmackten, wenn auch stylisch gemachten ´Ov My Herculean Exile´ gesteht Darksi, nicht so begabt wie große Barden und Dichter zu sein, sieht aber dennoch etwas Poetisches in seine „Blasfemia“, das raus müsse. Und raus lässt er es, aber längst nicht immer mit dem groben Knüppel

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´Neo-Spartacvs´ rockt phasenweise regelrecht – das gilt später auch für ´Once Upon A Pale Horse´, das insbesondere in der ersten Hälfte mit den stoischen Grooves von Norwegern wie Khold oder natürlich Satyricon kokettiert – und hämmert dem Hörer die Kernbotschaft nachdrücklich ins Gedächtnis: Hier begehrt jemand gegen alles Ungerechte und Hässliche auf, der sich durch nichts und niemanden stoppen lassen wird. Im skandinavisch klirrenden ´Disinheritance´ stellt Nergal neben der Kirche auch die Demokratie an den Pranger, so wie er sie in Polen erlebt. Heuchelei ist hier der verderbte gemeinsame Nenner, den es wegzukürzen gilt.

Und ´Off To War!´ fällt danach trotz seines aggressiven Vorwärtsdrangs so ergreifend aus, weil der Frontmann seine Paraderolle ein- und das Martyrium des „truly liberated man“ annimmt. Er gehört nirgendwo dazu, weder zum Establishment (das er als Medienperson gern unterwandert) noch der Black-Metal-Szene (deren Stilmittel er nutzt, während er ihre Dogmen ablehnt). Dennoch könnte speziell ´Thy Becoming Eternal´ kaum schwärzer metallisch glänzen. Nach den garstigen Riffs dieses erst rasanten dann majestätisch ruhig schreitenden Bekenntnisses dürften sich zig „trve“ Nieten-und-Patronengürtel-Kapellen dort draußen verzehren, wobei sie die Message auch nicht prägnanter auf den Punkt bringen könnten. „We hail Satan“.

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´Versvs Christvs´ schließt das „Werk gegen die Natur“ ungebrochen unbeugsam, aber mit kummervollem Unterton ab. Beklagt werden noch einmal alle Populisten und Verführer der Massen, während zwischen den Zeilen erneut der Gutmensch durchscheint, der das ganze Gesindel gerade deshalb ausradieren will, damit es „Mutter Erde“ wieder besser geht. Ein moderner Robin Hood, der sich für eine durch Religion traumatisierte und von der Obrigkeit gebeutelte Mehrheit rächt? Jedenfalls sind es solche fast comicartige Szenarien und Fantasien, die Heavy Metal generell und BEHEMOTH im Besonderen großartig machen.

Das ursprüngliche Artwork des Albums sei so extrem gewesen, dass man es den entscheidenden Instanzen der Musikbranche zuliebe entschärfen musste; was auch immer die Originalidee war – die Schlangen-Kruzifix-Symbolik ist als Anspielung auf den Äskulapstab der mit der Aufgabe des Heilens betrauten Medizin ein genialer Einfall.

FAZIT: „Opvs Contra Natvram“ bietet episches Extrem-Entertainment vom Feinsten – überlebensgroß und trotzdem mit einer sehr menschlichen, nahbaren Botschaft versehen, eine undurchdringlich harte Legierung aus Black und Death Metal, unter der sich ein empfindsamer Liedermacher mit Wandergitarre (siehe Darskis Nebenprojekt Me and That Man) und philosophischer Ader verbirgt. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/54fc900854554959adfa989652588f45" width="1" height="1" alt="">

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.09.2022

Tracklist

  1. 01] Post-God Nirvana
  2. 02] Malaria Vvlgata
  3. 03] The Deathless Sun
  4. 04] Ov My Herculean Exile
  5. 05] Neo-Spartacvs
  6. 06] Disinheritance
  7. 07] Off To War!
  8. 08] Once Upon A Pale Horse
  9. 09] Thy Becoming Eternal
  10. 10] Versvs Christvs

Besetzung

  • Bass

    Orion

  • Gesang

    Nergal, Seth

  • Gitarre

    Nergal, Seth

  • Schlagzeug

    Inferno

Sonstiges

  • Label

    Nuclear Blast / Believe

  • Spieldauer

    43:25

  • Erscheinungsdatum

    16.09.2022

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