CHAN MARSHALL spielt schon in einer ganz eigenen Liga. Nachdem die inzwischen in L.A. ansässige Indie-Ikone nach einer schwierigen Phase im Rahmen der Vermarktung ihres Albums „Sun“ - die zum krankheitsbedingten Abbruch der Tournee und dem Zerwürfnis mit ihrem alten Label führte – mit der Geburt ihres Sohnes Boaz und der Veröffentlichung ihres Albums „Wanderer“ von 2018 sozusagen wieder zu sich selbst gefunden hatte, war es wieder an der Zeit, für dieses dritte Album mit Coverversionen nach „The Covers Record“ von 2000 und „Jukebox“ von 2008. Denn: Coverversionen bilden seit jeher einen wichtigen Teil der musikalischen Arbeit von CHAN MARSHALL.
Insbesondere bei ihren Live-Konzerten lässt Chan – zuweilen spontan – Cover-Versionen in ihr Repertoire einfließen. Und zwar auf eine äußerst empathische Art, denn immer wieder stellt sie auf diese Weise eine Verbindung zu ihrem eigenen Oeuvre - und nicht zuletzt zu ihrem komplexen Seelenleben her. Dazu gehört auch, dass sie zuweilen ihre eigenen Stücke als Coverversionen auffasst.
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Auf der aktuellen Scheibe wurde zum Beispiel aus ihrem Song „Hate“ von ihrem „The Greatest“-Album die textlich leicht abgeänderte, versöhnlichere Version „Un-Hate“, mit der sie einen Schlussstrich unter das Thema Selbstverachtung zieht.
Ein anderes Beispiel für diese Art von „Mariage“ ist der Titel „Bad Religion“ von FRANK OCEAN, den die Musikerin schon seit einigen Jahren mit ihrem eigenen Song „In Your Face“ verquickte – um der destruktiven Aura dieses für ihre Verhältnisse politischen Songs eine spirituelle Erklärung entgegensetzen zu können.
Auch andere Tracks der neuen Covers-Sammlung wie z.B. LANA DEL REYs „White Mustang“ oder KITTY WELLS' „ It Wasn't God Who Made Honky Tonk Angels" hatte CHAN schon früher im Programm.
Wieder andere Tracks entstanden spontan bei Jam-Sessions mit ihrer aktuellen Live-Band, mit der sie das Album bereits vor der Pandemie einspielte. Eine Besonderheit stellt dabei BILLIE HOLIDAY's "I'll Be Seeing You" dar – nicht, weil CAT POWER immer wieder Tracks von BILLIE HOLIDAY in ihr Wirken einfließen lässt, sondern weil sie von der Familie des 2019 bei einem Unfall ums Leben gekommenen französischen Produzenten und Musikers PHILIPPE ZDAR (mit dem sie bei dessen Projekt CASSIUS und ihrer eigenen Scheibe "Sun" zusammengearveitet hatte) gebeten worden war, diesen Song auf dessen Beerdigung zu singen.
Cover-Versionen – und das macht CHAN MARSHALL mit diesem Album wieder einmal deutlich – sind ein unverzichtbarer Bestandteil des musikalischen CAT POWER-Selbstverständnisses.
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FAZIT: Warum haben Cover-Versionen, die CHAN MARSHALL spielt, auf der musikalischen Seite oft wenig bis gar nichts mit den Originalversionen zu tun? Nun, weil sie dieses Material nach eigener Aussage nicht bewusst auswählt – und somit auch überhaupt nicht den Anspruch hat, sich die Songs zueigen machen zu wollen. Stattdessen scheint es sogar so zu sein, dass die Songs sie auswählen, wie eine Anekdote aus der Produktionsphase der „Covers“-Sessions verdeutlicht. Die Musikerin hatte ihre Band im Studio versammelt, und war gerade dabei ein musikalisches Setting zu entwerfen, was zu einer produktiven Jam-Session führte, im Verlauf derer dann spontan vier Tracks entstanden, für welche sie – einer jeweiligen Eingebung folgend – die Lyrics zu BOB SEGERs „Against The Wind“, NICK CAVEs „I Had A Dream Joe“, IGGY POPs „Endless Sea“ und „You've Got The Silver“ von den Stones beisteuerte. Auf ihre unnachahmlich ureigene Art natürlich – aber vollkommen ungeplant und intuitiv. Kein Wunder, dass auch dieses „Covers“-Album von CAT POWER wieder einzigartig geraten ist. Auf neues Material wird man hingegen noch eine Weile warten müssen, da ihr Sohn es momentan nicht zulasse, dass sie neue Songs zu Hause einstudiere, wie sie sagt.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.01.2022
Eric Paparozzi, Adeline Jason, Alianna Kallaba
Chan Marshall
Adeline Jason, Chan Marshall
Eric Paparozzi
Alianna Kallaba
Domino
43:22
14.01.2022