Es ist endgültig sicher – und kündigte sich im Grunde schon seit 13 Jahren an, als der Hamburger Musikproduzent Lebioda sein Independent-Label 'Labelship' gründete, das sich vor gut drei Jahren und einem Umzug von der Nordsee-Küste ins nordenglische Sheffield in die Firmierung STUDIO III RECORDINGS umwandelte – dass immer, wenn aus diesem extrem mutig-musikalischen Hause eine Neuerscheinung ansteht, man sich als ebenso mutig-freigeistig-welt-und-stil-offener Hörer auf einiges gefasst machen darf. Und eine der größten Herausforderungen unter diesem Aspekt ist die 'extreme' Doppel-LP "The Zone", bei der man schon im Vorfeld nicht weiß, ob THE ZONE ein reines Projekt ist, das sich ebenso nennt oder ob es doch das Album des italienischen Komponisten und Pianisten DANIELE DEL MONACO ist, auch wenn der namentlich nicht speziell hervorgehoben wird.
Jedenfalls ist „The Zone“ ein Konzept-Album, das im Grunde genommen in jederlei Hinsicht irgendwelche Kategorisierung unmöglich macht, auch wenn man in seiner Verzweiflung beim Hören immer wieder nach Ansätzen und Parallelen sucht, die am ehesten im 'Zeuhl' zu verorten sind – und damit irgendwo am Horizont hinter dem Berg auf dem LP-Cover die Sonne im MAGMA auf- und im HENRY COW untergeht und dazwischen so viele verrückte Ideen und Experimentierereien zu finden sind, wie man sie vielleicht von einem ZAPPA, bei dem man ja im Grunde auch nie wusste, woran man war, erwarten könnte oder vielleicht noch von KING CRIMSON, als die in ihrer Anfangsphase auf die Mitarbeit von Jazz-Musikern setzten und in den frühen Siebzigern Alben mit ungewöhnlich hohem Jazz-Anteil veröffentlichten sowie, bei einem Blick in die Gegenwart, den absolut grandiosen BENT KNEE. Und dann macht es urplötzlich noch einmal klick und es kommt einem das wohl ungewöhnlichste Solo-Album eines Mitglieds von PINK FLOYD in den Sinn, als deren Schlagzeuger in intensiver Zusammenarbeit mit der weiblichen Jazz-Ikone CARLA BLEY mit einer Jazz-Rock-Scheibe das floydianische Universum ordentlich durchrüttelte und mit dem brutalen Beginn „Can't Get My Motor Start“, gesungen von KAREN KRAFT, so etwa alles konterkarierte, was man bis dahin von PINK FLOYD erwartet hätte. Ein absolut herrliches, faszinierendes, weil so andersartiges Album – und natürlich weiß jeder Insider und Floydianer, dass hier das 1981er-Album „Fictitious Sports“ von NICK MASON gemeint ist.
Wer nunmehr beim Lesen dieser Namen Blut leckt und auch dem Jazz gegenüber aufgeschlossen ist, der wird mit THE ZONE sein blaues Musik-Wunder erleben.
Erste Verwirrungen treten, wie bereits erwähnt, schon beim Betrachten des Natur-Covers (Grasland mit Berg und aufziehenden Gewitterwolken) auf, da es nur „The Zone“ zu heißen scheint und keine weiteren Angaben zu Musikern oder Band zu finden sind.
Also ist das „The Zone“ von THE ZONE?!
Eine genaue Antwort hierauf fällt wirklich schwer – auf jeden Fall aber ist „The Zone“ ein Doppel-Album des italienischen Komponisten DANIELE DEL MONACO, der speziell hierfür ein eigenes Projekt mit einer Band aus New York City gründete, deren Mitglieder normalerweise im Umfeld des Avantgarde Jazz und der freien Improvisation unterwegs sind.
Um allerdings das, was musikalisch alles auf „The Zone“ passiert, zu begreifen, sollte man unbedingt einen genaueren Blick auf den kreativen Kopf hinter diesem Projekt werfen: der 45jährige in Rom geborene und Venedig lebende Komponist und Keyboarder DANIELE DEL MONACO ist klassisch ausgebildeter Pianist und Komponist, der sich schnell nach seinem Studium deutlich freier orientierte, sich zwischen Kammermusik, Sinfonischem, Oper, Theatermusik, Film- und Rockmusik, Singer/Songwriter-Kunst, multimedialen Shows sowie jede Menge Improvisationen und Jazz bewegte.
Mit der Zeit vertiefte er sich speziell hierbei vorrangig in experimentellen, elektronischen und avantgardistischen Klangwelten. THE ZONE wird so zu Del Monacos wildem Spielfeld, auf dem er all die Einflüsse mal mit-, mal gegeneinander antreten lässt, sie so gesehen von unterschiedlichen Seiten her den auf dem Cover dargestellten Berg erklimmen lässt, um sie so über unterschiedliche Wege zu dessen zeitgenössischer Spitze zu führen. Als roter Faden, der fest verflochten und mit all den musikalischen Genres verknüpft wird, ist dabei die konzeptionelle Geschichte hinter „The Zone“, für die man wirklich jede Menge Hirn braucht und das, welches Del Monaco in dem zwei-LP-großen Innen-Poster in seiner rechten Hand trägt allein nicht reicht. Auf der anderen Foto-Seite des Posters sieht man THE ZONE auf der Bühne und erkennt an deren Gestaltung zugleich noch, dass die Musiker offensichtlich ein Faible für HIERONYMUS BOSCH haben.
Aber auch hier endet bei Weitem noch nicht der enge Zusammenhang zwischen Del Monacos Lebensstil und seiner Musik mit THE ZONE. Da müssen wir tiefer gehen und uns mit ihm aus der Großstadt Rom in Richtung der kleinen Fischerinsel in einer venezianischen Lagune begeben, auf der er sich mit seiner Familie 2014 niederlässt, sein Passion fürs Segeln und als zweifacher Vater zugleich für die Familie auslebt. Aber auch die Musik bleibt in diesem traumhaft-natürlichen Umfeld weiterhin sein Lebensmittelpunkt, weswegen er sich ein modernes Heimstudio einrichtet, in dem er alle seine musikalischen Projekte und Ideen, welche mitunter einen albtraumhaften Grundcharakter besitzen können, entwickeln und vorproduzieren kann.
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Hier trifft er auch mit dem New Yorker Jazz-Trio CAPPELLI/FILIANO/TAKEISHI zusammen, mit denen er zusätzliche Experimente beginnt, um mit deren Unterstützung sowie der ausgebildeten Jazz-Sängerin FAY VICTOR sein Projekt „The Zone“ zu verwirklichen, das so etwa alle Genre-Grenzen durchbrechen soll, indem es Avantgarde-Jazz mit Progressive Rock, Zeuhl und RIO sowie einer brutalen Konzept-Story, bei der neben ungewöhnlichem Gesang auch jede Menge Klang-Collagen und Geräusch-Kulissen mit Wucht ihre Sounds entfalten, wenn auf einen Maschinengewehr-Feuer einprasselt oder wild Befehle geschrien werden oder am Ende lautes Tür-Knarren, miteinander vereint, während sich langsam die Konzept-Story über die vier LP-Seiten entfaltet. Und diese konzeptionelle Geschichte wird mit mal exzentrischem oder auch sehr fragilem Gesang von Fay Victor vorgetragen, die auf diese Weise wie Sängerin und Schauspielerin zugleich wirkt und wahrscheinlich den Einen und die Andere bei dieser vokalen Intensität, die eben so verdammt an eine KAREN KRAFT erinnert, verunsichern wird. Schon deswegen entfaltet sich das Album wirklich erst nach mehreren Durchgängen, bei denen man nach und nach seine vom musikalischen Alltag geprägten Hörgewohnheiten abstellen sollte. Auf „The Zone“ muss man sich einlassen, denn als Hintergrundbeschallung ist es gänzlich ungeeignet, da es ein Weg- oder Nebenbei-Hören schlicht nicht zulässt. Vielleicht steigt man schon nach kurzer Zeit genervt aus oder man erkennt ganz ähnlich wie bei „Fictitious Sports“, dass man es hier mit etwas ganz Außergewöhnlichem zu tun hat…
Gleiches gilt natürlich auch für die poetische Inspiration hinter „The Zone“, die weit zurück ins Mittelalter reicht bis hin zu dem persischen Sufi-Poeten und Mystiker FARID AL-DIN 'ATTAR (1136-1220) und dessen „Die Konferenz der Vögel“, während sich der Konzept-Titel auf das russisches Science-Fiction-Drama „Stalker“ des Regisseurs Andrei Tarkowski bezieht, deren Grundlage den utopischen – und in der DDR sicher von fast allen, die damals in der wahrhaft eingemauerten „Zone“ lebten, nur zu gut bekannten – Roman „Picknick am Wegesrand“ (1971) der russischen Brüder ARKADI & BORIS STRUGAZKI zum Inhalt hat. Darin geht es um sechs ganz bestimmte Orte auf der Erde – den so genannten 'Zonen' – wo außerirdische Technologie zu finden ist, welche große Gefahren in sich bergen, weswegen die Zonen abgeriegelt wurden. Dass dies natürlich 'querdenkende' Goldgräber aller Couleur auf den Plan ruft, ist natürlich die logische Folge. Täter und Opfer bringt das hervor – und die tauchen dann natürlich in dem Konzept auf, sodass beispielsweise auf „We Are Lost“ 115 einsame Seelen eine traurige Melodie über das Leid singen, das so über die Menschheit gebracht wurde, während „A Loud Noise“ brutal loslegt und darüber berichtet, dass sich ein kleines Land komplett verändert hat, als es verbrannte ubd so zu einer der Zonen wurde. Insgesamt werden in sieben musikalischen Kapiteln die Zonen bereist und dabei schöne wie grauenvolle Erfahrungen gesammelt, welche metaphorisch die Stadien des menschlichen Verlangens ausdrücken.
Das klingt komplex und kompliziert.
Aber ja doch – genauso wie die Musik dazu.
Übrigens entstanden vier der sieben Kapitel noch vor Corona und dem Irrsinn, der für uns daraus resultierte, obwohl „The Zone“ im Grunde der ideale Soundtrack für das geworden ist, was uns momentan fast selber in den Irrsinn treibt. Vielleicht sollten wir nicht mehr über Wellen, sondern Zonen sprechen, dann wüssten wir wenigstens, dass nach der sechsten Zone alles vorbei ist. Bis dahin sollten wir aber unbedingt mehrfach dieses beeindruckende Vinyl-Doppel-Album hören, das noch dazu ein paar russische Wurzeln hat, die von Musikern der freien Welt zum Sprießen gebracht werden.
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FAZIT: Willkommen in der Zone! Und was für einer – denn auf „The Zone“, einem musikalischen Konzept aus Avantgarde Jazz und Zeuhl, plus RIO und Progressive Rock sowie Kammer- und Filmmusik nach einer philosophischen und zugleich utopischen Geschichte, erschafft der italienische Komponist und Pianist DANIELE DEL MONACO mit drei amerikanischen Jazz-Musikern sowie einer Menge elektronischem Equipment und ganz besonders der urbanen Jazz-Stimme der extrem flexiblen Sängerin Fay Victor ein bedrohliches Konzept-Doppel-Album, das auch durch seinen hervorragenden Sound eine wahre Herausforderung für alle, die auch gerne mal mit jeder Form von Hörgewohnheit brechen wollen, geworden ist. Mehrfaches Hören ist hierbei absolute Pflicht, sonst hat man keine Chance, sich alles, was mit und auf THE ZONE in seiner ganzen Komplexität passiert, wirklich zu erschließen. Wer dabei nicht aufgibt, wird am Ende mit einem unglaublich spannendem Vinyl-Ereignis belohnt.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.01.2022
Ken Filiano
Fay Victor
Marco Cappelli
Daniele Del Monaco
Satoshi Takeishi
Studio Three Recordings
57:28
22.10.2021