Die Liste der Beteiligten an Dave Kerzners „Traveler“ liest sich wie ein Who’s Who der modernen Prog-Geschichte. Doch wer ein progressives Instrumentalfeuerwerk erwartet, dürfte sich enttäuscht sehen. Denn oft beschränkt sich die Beteiligung der Musiker auf wenige Stücke und kurze Einsätze. Ferner weist das Album mit seiner moderaten LP-Länge von zweiundvierzig Minuten, und Songs, die die sechs Minuten-Marke nur zweimal knapp überschreiten, auch zu wenig Raum für ausufernde Eskapaden aus.
Daver Kerzner bleibt als Multiinstrumentalist und solider Sänger der Kapitän an Bord, über die gesamte Strecke unterstützt vom langjährigen musikalischen Partner Fernando Perdomo. Mit Volldampf geht es Richtung melodischen Progressive Rocks, kompakt und verspielt, als Zuckerguss mit kurzen instrumentalen Finessen versehen. Aus KANSAS wird die Violine importiert („Another Lifetime“), „Ghostwritten Fables“ klingt nach Peter Gabriel in einer fluffigen, aber nachdenklichen Phase.
Im Hintergrund grüßen PINK FLOYD, präsenter sind aber GENESIS, was nicht nur daran liegt, dass Steve Hackett mit einem „Cameo“-Auftritt beteiligt ist. Durchaus mit Geschick führt Dave Kerzner das auf dem Broadway liegende Lamm in eine harmonische, poporientierte Zukunft. „Here And Now Pt2“ geht retromäßig am weitesten zurück und kredenzt dabei exponierte Tastenarbeit. Trotz kurzen überflüssigen Gequackes das stärkste Stück des Albums.
„A Time In Your Mind“ verweist massiver auf die „Abacab mit Invisible Touch“-Phase, wäre aber auch mögliches Highlight eines späten Tony Banks-Soloalbums gewesen. „Better Life“ treibt die ärgsten Blüten, knietief im Pop-Sumpf. Und die BEATLES gucken perplex zu. Aber irgendwie passt das zum Gesamtkonstrukt, jener rechtschaffenen lauschigen Klangreise, die niemand der ohne Arg ist (oder voller Sehnsucht nach komplexen Strukturen) wehtun will und wird.
FAZIT: Dave Kerzner liefert wieder soliden Wohlfühl-Prog der melodischen, gerne leicht melancholischen Sorte. Die Ahnen und nahen Verwandten sind bekannt und lassen sich jederzeit heraushören. Kerzner gibt dem Gebräu seinen eigenen Anstrich, zumindest ein wenig, und serviert ein antiquiertes aber in entsprechenden Stimmungslagen weitgehend wohlschmeckendes musikalisches Gericht.
Neben der Standardversion erscheint „Traveler“ auch als Special Edition mit Bonus-Disc voller Outtakes und Edits. Digital gibt es noch eine teure Hi Res 24bit 96k-Ausgabe mit zahlreichen zusätzlichen Tracks. Weiterhin kann man eine 4-Disc-Variante ordern, die alles oben genannte (und mehr) enthält und das Taschengeldkonto mit 250 Dollar fett belastet. Nimmt man noch einen limitierten, signierten Kunstdruck des Covers (von Rafal Olbinski, mit hoffentlich freundlicher Verbeugung vor René Magritte) hinzu, verdoppelt sich die Ausgabe.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.12.2022
Fernando Perdomo, Stuart Fletcher, Matt Dorsey, Billy Sherwood
Dave Kerzner, Jon Davison, Durga McBroom, Alex Yatte Chod, Emily Lynn, Heather Findlay, Lara Smiles, David Longdon
Fernando Perdomo, Francis Dunnery, Randy McStine, Dave Kerzner, Steve Hackett
Dave Kerzner
Nick D’Virgilio, Marco Minnemann, Alex Cromarty
Ruti Celli (cello), Joe Deninzon – (violins, violas), Dave Kerzner (drum programming)
RecPlay Imc./Just for Kicks Music
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30.09.2022