Die Götter mögen uns beistehen! Kann das gut gehen? Horda Wolf (Waldtraene, Odroerir) holt mit seinem neuen schwarz angehauchten Pagan-Metal-Projekt FIRN zum eiskalten Schlag aus, und widmet sich auf dem Debüt "Frostwärts" ausgerechnet jener Spielart, die oft genug in Klischees und Kirmes-Klängen baden ging.
Ein Blick auf das Backcover lässt erahnen, welche heimischen und nordischen Bands den Musiker wohl inspirierten, FIRN aus der Taufe zu heben. "Wo die Winde thronen" liest sich wie ein Blizzard-durchwehter Gruß ins Sauerland, "Vater Berg" und der Titelsong wecken Assoziationen an norwegische Wegbereiter, und auch "Urkraft", "Sonnenrad", "Menhir" und "Firn" sprechen Bände über die inhaltliche Ausrichtung. Neue Akzente sind hier wohl weniger zu erwarten, und die Tatsache, dass Horda Wolf das Album im Alleingang eingespielt hat, legt den Verdacht nahe, dass es sich hier um eines jener späten Kinderzimmer-Projekte handelt, bei welchen den kreativen Einzelgängern nicht selten das Korrektiv fehlt.
Doch genug der Vorurteile, denn auf "Frostwärts" geht es zwar musikalisch rückwärtsgewandt zu, doch das wiederum mit frischem – nicht um zu sagen: frostigem – Wind in den Segeln und einer Unbekümmertheit, die auch einst einen leicht größenwahnsinnigen Schweden auszeichnete, dessen Einfluss aus Black-, Extreme- und auch Pagan Metal gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Mit dieser Wahrnehmung lässt sich FIRNs Hymnen manch Sympathisches abgewinnen, auch wenn das programmierte Schlagzeug klangtechnisch nicht nur nicht überzeugt, sondern dem Ansinnen, einen möglichst Natur-inspirierten Sound zu erschaffen, leider oft wie ein Fremdkörper im Wege steht. Der das Album eröffnende Titelsong schleppt sich zunächst einige Minuten durch wenig mitreißenden Pagan Metal und nimmt erst in der zweiten Hälfte richtig Fahrt auf, wenn Horda vom Grollen zum epischen Gesang wechselt und die Arrangements auf der Gitarre ansprechender gestaltet. Dieser Kontrast zwischen grimmig in Szene gesetztem Folk Black Metal und epischen Arrangements verwundert auch in der Folge, denn "Urkraft" wartet ebenfalls mit tollem Gesang auf, über den sich z.B. Menhir vor über 20 Jahren sicher gefreut hätten. Die atmosphärisch vereinnahmende, zuweilen fast an ein Hörspiel erinnernde Gestaltung in der zweiten Songhälfte sticht aus dem herkömmlichen Einerlei heraus und lässt die Vorstellungskraft wilde Blüten treiben, während sich FIRN offenbar warmgespielt hat, um mit "Wo die Winde thronen" rasant durchzustarten und dem nordischen Melodic Black Metal Tribut zu zollen. So gelungen der Song in seinen Grundlagen ist, so wenig ist auch von der Hand zu weisen, dass da noch Potential brachliegt: Während die eisigen Keyboard-Passagen im Stil von Covenant oder Istapp wie der Frost aufs Auge passen, wirken andere Passagen hastig eingespielt und lassen die persönliche Note missen, mit der FIRN immer wieder aufwartet. Dennoch geht es nach einem eher holprigen Start insgesamt aufwärts und mit laufender Spielzeit kann die Musik zunehmend überzeugen. Das eingängige "Sonnenrad" dürfte live problemlos zünden und das Flüstern steht dem Song gut zu Gesicht.
Wie Horda Wolf bereits in einigen Interviews erklärte, entstand "Frostwärts" während der isolierenden Corona-Krise, als er die Zeit fand, einige Ideen quasi im "stillen (?) Kämmerlein" zu verdichten und dabei die Liebe zu seiner Heimat, der Bergwelt des Harzes, zum Ausdruck zu bringen. Das ist vor allem im Hinblick auf die Gesangsarrangements beeindruckend, erklärt jedoch wohl auch, warum die Songs zuweilen arg an Dynamik missen lassen, obwohl sie in ihrer Anlage an etlichen Stellen im Grunde nur darauf warten, Ärsche zu treten. Beispielhaft sei hier "Vater Berg" erwähnt, dessen Keyboard-Passagen vor sich hindümpeln und die Gitarre zunächst kaum Zugkraft entwickelt. Im Vergleich zu einer stilistisch ähnlichen Eigenproduktion wie Ash of Ashes wird deutlich, welche Möglichkeiten hier verspielt wurden. So wirkt "Frostwärts" auf mich teilweise wie eine beherzte Demo-Aufnahme (6 Punkte dafür) mit stellenweise sagenhaftem Gesang (12 Punkte dafür), die dynamischer umgesetzt werden möchte.
Das Album erscheint als CD mit umfangreichem Booklet im schön gestalteten Digipak und kann als erster Schritt eines neuen Hoffnungsträgers im deutschsprachigen Pagan Metal gelten.
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FAZIT: FIRN legt mit "Frostwärts" ein Debüt vor, das sich trotz des generischen Drum Sounds und dem Rückgriff auf einst arg überstrapazierte Pagan-Metal-Klischees immer wieder über die Untiefen des Genres erhebt und an die beseelten Gründertage vor rund einem Vierteljahrhundert erinnert. Vor allem mit seinen epischen wie abwechslungsreichen Gesangsarrangements zieht Horda ein Ass aus dem Ärmel, mit dem er zahlreiche Barden anderer Heidenlärm-Kapellen aussticht. Es wäre ihm zu wünschen, seine prinzipiell guten Ideen beim nächsten Mal mit einem Drummer aus Fleisch und Blut umsetzen und vielleicht mit einigen weiteren Musikern an den Details feilen zu können, um seine Ideen mit Durchschlagskraft zu verwirklichen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.02.2022
Horda Wolf
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Einheit Produktionen / Schattenpfade
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25.02.2022