<b>„Er ist ein besessener Handwerker, der die Geige in unserem Lande rockfähig gemacht hat und die Distanz, die der eine oder andere zu diesem Instrument hat, verkürzen hilft. “</b> (Stefan Lasch in der DDR-Zeitschrift 'melodie und rhythmus', Heft 2/1989, auf deren Umschlagbild Hans die Geige abgebildet ist!)
Na, wer hat mal wieder so richtig Lust auf Klassik-Pop-Rock von einem Wunder-Geiger?
Oh nein, da ist nicht etwa NIGEL KENNEDY aus dem Land der Monarchie gemeint, das gerade seine Queen zu Grabe getragen hat, während Deutschland zwar für eine Ex-Königin auf Halbmast flaggte, aber als derjenige starb, der maßgeblich zur Befreiung Ostdeutschlands und Wiedervereinigung Deutschlands beitrug (Gorbatschow), man höchstens für ihn in seine Rotzfahne schnäuzte.
Hier geht es um einen anderen Wundergeiger, der zwar nicht aus einer 'freiwilligen Monarchie', sondern aus einer Diktatur stammt, die anfangs heilfroh darüber war, dass sich dieser begnadete Geiger auf sein Instrument konzentrierte und nicht etwa subversive Texte über die Freiheit oder Mauern sang, das taten dann eher die großartigen Ost-Rock-Bands, deren Songs er mit seinem Geigenspiel veredelte. Sein Name: HANS WINTOCH, besser bekannt als HANS DIE GEIGE, der aus Anlass seiner 50-jährigen Musiker-Karriere diese dreiteilige CD-Box herausbringt und sich dabei auf Teil 1 mit „Das bin ich jetzt“, auf Teil 2 mit „Das alles bin ich auch“ und auf Teil 3 mit „Das alles bin ich best of“ vorstellt.
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Der am 1. Oktober 1954 geborene Wintoch, der, obwohl klassisch ausgebildet, gerade als Rockgeiger in der DDR höchste Ehren und fast schon Kultstatus genoss, war seit Mitte der 70er-Jahre sehr aktiv mit/bei Rockbands unterwegs, sodass seine festen Stationen über die SCHUBERT-BAND (1975-78), MAGDEBURG (1980-81), KLEEBLATT (1983) und LIFT (1985) gingen, aber andere sehr namhafte Ostrock-Bands sich seiner Mitwirkung erfreuten, wie ELECTRA, ENGERLING und ZENIT. Selbst in der E- und Jazz-Musik machte er sich einen Namen und trat nach dem Mauerfall oft als Support für die PUHDYS auf. Seine Solo-Aktivitäten und -Alben fanden dagegen nicht zu unrecht nur wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung.
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Leider ist der Geiger kein wirklich begnadeter Sänger und Texter zugleich, sodass seine von ihm gesungenen Stücke eher unangenehme als begeisterte Eindrücke hinterlassen. So wirkt „In der Freiheit liegt die Kraft“, eigentlich vom Titel her eine echt angenehme Steilvorlage für einen widerstreitenden Ost-Rocker, bei diesem Text, aus dem man am besten gar nicht zitieren will, und noch dazu dem Gesang insgesamt nur peinlich. Das jedenfalls ist eine unüberhörbare Schattenseiten in den 50 Jahren des Rockgeigers. Leider gilt das für alle von ihm HANS DIE GEIGE gesungenen Songs, die leider ein gutes Drittel der ersten CD einnehmen. Schade, dass ein so begnadeter Violinen-Virtuose nicht erkennt oder akzeptiert, dass sein Gesang und seine Liedermacherqualitäten mitunter inakzeptabel sind, wenn es darum geht, den Anspruch und das Ansehen zu halten, welches man sich mit seinem Geigenspiel erobert hat.
Ganz schlimm wird es übrigens, wenn er auf seiner Homepage auch noch stimmlich mit JOE COCKER verglichen wird, was einer wahren 'Vokal-Gotteslästerung' gleichkommt.
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Wenn HdG dann auf der dritten CD auch den Irish-Folk präsentiert, ist das was Feines, aber dass er zuvor mit „Wenn ich dein T-Shirt wär'“ wieder mal einen gesungenen countrymäßigen Song mit einem Text zum Fremdschämen beisteuert, der angeblich eine ironische Anspielung auf VANESSA MAYs feuchte T-Shirts ist (Das sollte man dann aber explizit auch als Ergänzung zu diesem Song beifügen!): „Wenn ich dein T-Shirt wär', dann wär' ich wer, mehr als jeder Millionär...“ Oh ja, da wünscht man diesem geigenden T-Shirt einen Waschgang mit anschließender höchster Schleuderzahl: „Mit dir in die Koje gehen und deine Kurven fühlen […] Lieg ich mal im Schrank, bin ich sofort todkrank...“ Da hilft schon kein Schonwaschgang mehr!
Auch sein Klima-Song „Hier auf Erden“, der ganz aktuell remastert wurde, bildet kaum noch eine Ausnahme: „Hier werden Bäume sterben, spielen wir Helden!“ Welcher Sinn hinter diesem Satz steckt, darf gerne bei den Grünen oder in einem nächsten Philosophie-Kurs ausdiskutiert werden: „Macht doch auf Erden, was ihr denn wollt, euch ist nicht zu helfen, ich seh' von oben zu.“ Oder spielt da HdG etwa Gott? Och nö!
Und von diesen nicht gerade berauschenden Eindrücken sind auch die neuen, erstmals auf dieser Trilogie erschienenen Songs betroffen – so wie beispielsweise „Das Licht erwacht“, eine Allegorie auf „Des Königs neue Kleider“ in das Hier und Jetzt geholt, zu dem HdG selber schreibt: „Ein brandneuer Song, der in dunklen Zeiten Zuversicht und Kraft gibt und jeden daran erinnert, dass man sich nicht klein machen (lassen) darf!“ Gut, aber wenn's dann heißt: „Die Sonne kommt mit aller Macht, der blinde Mann ist erwacht!“, dann sitzt man doch ein wenig ratlos vor diesem Song und denkt über all die Sehenden und was eigentlich mit denen ist nach.
Also resümieren wir vorerst, dass wenn HANS DIE GEIGE statt zur Violine zum Mikro und Texter-Stift greift nichts wirklich Gutes bei rauskommt. Doch zum Glück überragen bei ihm ja die instrumentalen Stücke, denen er mit seinem charismatischen Geigenspiel eine ganz besondere Aura – die einige tatsächlich an einen NIGEL KENNEDY erinnern werden – verleiht. Denn ganz ähnlich wie er kombiniert Wintoch seine klassische Ausbildung mit der Rockmusik, sodass sogar die Zwischenspiele in den von ihn gesungenen Stücken sind oft echt stark und gleichen ein wenig das aus, was er mit seinem Gesang und den Botschaften dahinter kaputtmacht.
Schön, dass die letzte CD dann wenigsten mit dem beeindruckenden Instrumental „Sky“, das wohl auch ein kleiner Verweis auf die gleichnamige britische Prog-Band ist, endet und einige der nicht so angenehmen Eindrücke einfach weggeigt.
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Ganz anders verhält es sich mit der zweiten CD 'Das alles bin ich auch', auf der die vielen Bands und Musiker, mit denen HANS DIE GEIGE zusammenarbeitet, vorgestellt werden, beginnend mit der SCHUBERT FORMATION mit Wintoch an der Geige und HOLGER BIEGE hinterm Mikro. Das passt! Und ist rar sowie legendär zugleich.
Danach geht’s gleich zweimal mit den aus den KLOSTERBRÜDERN entstandenen und dann verbotenen MAGDEBURG weiter. „Vorsicht Glas“ jedenfalls ist aus musikalischer wie textlicher Sicht ein versteckter Diamant des Ost-Rocks, der sich mit den Extremen beschäftigt, die beim Zurückhalten einer Wahrheit ausgelöst werden: „Wer nennt das Maß, um die Wahrheit zu sagen, ohne das Glas ob für wahr zu zerschlagen.“ Das sind Texte von Schlagkraft, welche damals den DDR-Oberen Angst und Schrecken einjagten. Und auch wenn hier in einigen Songs nur ansatzweise die HdG-Virtuosität hervorgehoben wird, ist sie in der Auswahl der 3-CD-Box „50 Jahre Rockgeiger“ die beste. So wie die instrumentalen Stücke der ersten und letzten CD ebenfalls gut bis sehr gut klingen – über den Gesang und die Texte dieser beiden CD's aber besser der Mantel des Schweigens geworfen werden sollte.
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Auch seine beiden Instrumental-Stücke mit KLEEBLATT, „Kinderlied“ und „Klassik V“, sind artrockige Faszination pur, die sich mitunter vor MIKE OLDFIELD verbeugen, auch wenn's danach (leider) in Schlager-Richtung mit FRANK SCHÖBEL, DAGMAR FREDERIC und MATTHIAS REIM weitergeht. Etappen, die zu Wintoch gehören und durchaus beleuchtet werden müssen – auch wirken sie keinesfalls peinlich (wie einige seiner Solo-Sachen mit Gesang), sondern echt professionell. Nur… Schlager eben, die vielleicht sogar zu Herzen gehen, wenn DDR-Schlager-Legende Schöbel schmachtend-schmalzig sein „Tief in den Herzen“ schmettert, während Herr Reim eindringlich hymnisch mit „Lass mich fliegen“ um ein paar herzerweichende Flugstunden bittet: „Da ist so viel Licht, siehst du es nicht? Lass mich doch fliegen, irgendwohin!“ Und die Geige unseres Rockgeigers fliegt auf beeindruckende Weise mit.
„Das allein bin ich“ ist zudem dann der einzige akzeptable Wintoch-Song mit Gesang. Doch das liegt eben daran, dass hier DIRK ZÖLLNER seinen maßgeblichen Beitrag sowie seine charismatische Stimme mit beisteuert und auch der Text nicht von HdG ist, sodass dieser Song eine sehr eindringliche Wirkung hat, wobei besonders auch das HdG-Spiel erhebliche Wirkung hinterlässt, da es den „Am Fenster“-Zeiten von CITY sehr nahe kommt. Bei „Stark“ darf dann auch QUASTER von den PUHDYS ans Mikro – und immer wenn andere Stimmen mit im Spiel sind, funktioniert eben auch unser Rockgeiger.
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Besonders wertvoll und mit einer Träne im Knopfloch auf dieser zweiten CD sind dann die letzten beiden Aufnahmen von (Scharfschwerdts) NEULAND, die Band des ehemaligen PUHDYS-Schlagzeugers KLAUS SCHARFSCHWERDT, mit der Wintoch wohl gemeinsam eine Zukunft plante, bis diesen Planungen durch den zwar nicht völlig unerwarteten, aber trotzdem überraschenden Tod (Lungenkrebs) des Schlagzeugers ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Das instrumentale „Shuffle“ von NEULAND, das sich irgendwo zwischen APOCALYPTICA und den PUHDYS bewegt, kündigte auf jeden Fall ganz Großartiges an. Leider endet es damit auch.
In dem achtseitigen Booklet geht Hans Wintoch dann explizit auf Scharfschwerdt und den Verlust, welcher dessen Tod auch für ihn persönlich bedeutet, ein: „Ich lernte so unfassbar viel von ihm und werde die vielen gemeinsamen Stunden in meinem Studio und außerhalb sowie als Neuländer nie vergessen!!! Ich verneige mich wirklich vor dem Lebenswerk dieses viel zu früh aus unserer Mitte gerissenen, feinen Menschen.“
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FAZIT: Hans Wintoch, der Teufelsgeiger aus der DDR, der dort und nunmehr auch im wiedervereinten Deutschland als der beste deutsche Rockgeiger HANS DIE GEIGE bekannt ist, hat tatsächlich ein halbes Musikjahrhundert auf dem Buckel, während dem er immer an seiner Geige („Ich habe drei Geigen – eine schenkte mir meine Muttsch in der 6. Klasse, die zweite hat mir ein Musiker der Gruppe BAYON überlassen und die dritte habe ich mir selbst gekauft.“) – egal ob er damit Rock, Jazz oder Klassik spielte – rundum zu überzeugen wusste. Außerdem war er festes Mitglied bei legendären DDR-Bands wie MAGDEBURG oder REFORM sowie NEULAND, der Band des kürzlich verstorbenen PUHDYS-Schlagzeugers Klaus Scharfschwerdt. Aus Anlass seines 50-jährigen Jubiläums veröffentlicht das Buschfunk-Label eine 3-CD-Box auf der er sich auf Teil 1 mit „Das bin ich jetzt“ (aktuellere Solo-Sachen), auf Teil 2 mit „Das alles bin ich auch“ (Aufnahmen mit anderen Bands und Musikern) und auf Teil 3 mit „Das alles bin ich best of“ (Solo-Aufnahmen aus der Vergangenheit) vorstellt. Alles bestens – nur das mit dem Singen und Texten sollte er besser anderen überlassen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.11.2022
BuschFunk Vertriebs GmbH
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16.09.2022