<b>„Am Anfang waren da nur zwei Jungs, die zu den Schrammelakkorden einer Gitarre selbstgebackene witzige Lieder grölten. Aber die heilige Evolution und eine nicht geringe Portion von 'Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom' jagte das Duo von der namengebenden 'hasenbeköttelten' Wiese raus in urbanere Gefilde! Sie streiften sich tapfer die Köttel aus dem Cord und peppten ihre Wald- und Wiesenlieder mit Percussion, E-Bass, Akkordeon und mehrstimmigem Gesang auf.“</b> (So zu lesen auf der Homepage von HASENSCHEISSE)
Beginnen wir diese Review am besten gleich mal mit dem Fazit, das unser ehemaliger Kollege Popp in seiner Kritik zu „a-Moll“ von HASENSCHEISSE zog: „Oft haben Bands tolle Namen, liefern aber doch musikalische Exkremente. Hier isset andersrum.“
Das empfand der hier nun schreibende, aber sich damals <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2012/Hasenscheisse/a-Moll/" target="_blank" rel="nofollow">in seinem Kommentar</a> über den bek(n)ackten Namen auf ironische Weise beschwerende Kritiker ganz ähnlich, aber trotzdem mit viel Ironie gab er von sich: „Ich finde den Namen HASENSCHEISSE extrem Hühnerkacke!“
So, damit wären wir doch schonmal mit dem ganzen Trara rund um die Bandnamen-Wahl des ostdeutschen, aus dem Umfeld Potsdams und Berlins stammenden, Sextetts durch.
Und stellen außerdem bereits nach dem ersten Hördurchgang dieses ambitionierten Albums, das besonders auf der hochwertigen Doppel-LP mit mehrseitigem Extra-Einleger, auf dem alle Texte nachzulesen sind, seine ganze klangvolle und optische Schönheit entfaltet, fest, dass dieser Deutschrock aus dem Osten deutlich besser als vieles Deutschrockendes und uns mit viel Promo-Aufwand um die Ohren Gehauenes aus dem Westen (aber auch Osten) ist! HASENSCHEISSE bleiben eben auf dem östlichen Boden und lächeln erhaben in Richtung SILBERMOND, weil sie einfach besser sind.
Allerdings wartet vorab erst einmal aus musikalischer Sicht ein deutlich größeres Problem als der ironiebekotete Bandname auf uns – der Album-Titel: „Dampferjazz“!?!?
Denn hier gibt’s zwar jede Menge HASENSCHEISSE, aber definitiv keinen „Dampferjazz“, sondern genau das, was HASENSCHEISSE so hervorragenden auf dem Kasten – oder meinetwegen auch 'Dampfer' haben – nämlich herrlich ironische und zugleich tiefgründige Deutsch-Rock-Pop-Folk-Akustik-Liedermacherei, die mitunter an das große West-Brüderchen DIE ÄRZTE denken und den Hörer jede Menge Spaß an dieser Musik haben lässt, bei dem einem manchmal das Lachen auch ganz schnell im Halse stecken bleiben kann, weil nicht umsonst gleich im ersten Song ein übler Kampf-Igel auftaucht, der sich am Ende als der ganz große HASENSCHEISSE-Retter outet und dabei eben mehr auf seine Stacheln als seine kotigen Exkremente zurückgreift: „Wir sind Liedermacher und hol'n die Gitarre raus und rufen: 'Woll'n wir Freunde sein?' Plötzlich bremst der kleine Igel ab, seine Stimme ist ganz weich: 'Ihr seid gute Jungs und keine Flegel. Ich tue euch nichts, denn ich weiß: Liedermacher = Tierfreund! Alte Regel!“
Einfach ein herrlicher Einstieg in ein am Ende auch als herrlich empfundenes Album, das mehr Sympathien für die Tiere als so einige Homo sapiens und Homo sapiensinnen hegt.
Auch dass es nicht nur bei einem Igel auf dem Album der Tierfreund-Liedermacher bleibt, ist doch logisch, sodass schon ein paar Lieder später mit „Mein Bernhardiner“, die große Hundefreundschaft besungen wird, nachdem noch kurz zuvor mit der Begleitung des deutschen FILMORCHESTERs BABELSBERG bei „Frodo & Sam“ die Leidenschaft für Tolkiens „Herr der Ringe“ angepriesen worden war: „Ich sitz in meinem Lieblingssessel mit einem Buch und fliehe vor dem Alltag in Tolkiens Fantasien.“
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HASENSCHEISSE suchen die Lösung für alle hier besungenen – und in der Realität leider viel zu häufig und offen auftretenden – Probleme natürlich nicht nur in der Flucht, sondern können auch ganz konkret und bissig zur Sache kommen, indem sie sich nicht nur auf spitzbübisch-hintergründigen, manchmal gar schwarz-britischen Humor verlegen, sondern klare Kante zeigen, wenn es um offensichtliche Kritik an den bestehenden Zu- und Umständen in unserer Gesellschaft geht. Bestes Beispiel ist hierfür das mit einem extrem beeindruckenden und sehr kunstvollen Sandmalerei-Video von KSENIYA SIMONOVA versehene „Paradies“, bei dem die Entwicklung der Menschheit aufgezeigt wird, um am Ende zu dem Schluss zu gelangen: „Wir sagen 'Bitteschön' und 'Danke' und wir essen mit Besteck. Doch wir bleiben Menschenfresser mit der Keule im Gepäck.“
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Wer möchte in Zeiten des Ukraine-Krieges eigentlich noch widersprechen – auch wenn der Krieg wohl, als dieses folkig-traurige Stück entstand, noch gar nicht tobte. Die Frage nach gut und böse, falsch und richtig, gerecht und ungerecht existiert eben schon so lange wie die Menschheit existiert – und im schlimmsten Falle sucht man in Kriegen nach einer Antwort. Würde man beispielsweise HASENSCHEISSE genauer zuhören, dann könnte man von vornherein alle Waffen ruhen lassen und stattdessen die Größe seiner fabrizierten Kackhaufen vergleichen, wobei der mit dem kleinsten dann der Größte sein darf. Und noch dazu lösen sie gleich das Problem, welches derzeit irgendwelche Moralapostel, die hinter jedem Buch ein rassistisches oder andersartiges Problem entdecken oder der deutschen Sprache ihres grammatischen Geschlechts berauben, indem sie ihr ein biologisches Geschlecht aufzwingen wollen. Darum vielen Dank, HASENSCHEISSE, für die ersten unschlagbaren Zeilen aus „Großstadtschamane“: „Mein Freund sagt neulich: 'Hör gut zu! Ich bin in echt der Häuptling Winnetou!' Er will, dass Apachen und Komantschen, endlich wieder friedlich um die Feuer tanzen.“
Selbst die Stadt Potsdam sollte mal ganz genau hinhören, wenn sie mit „Kleines sauberes Städtchen“ in den HASENSCHEISSE-Fokus geraten. Schade, dass keiner aus dem Musiker-Sextett dort Bürgermeister wird. Vielleicht würde sich wirklich mal etwas zum Besseren hin verändern, doch so bleibt am Ende nur die Erkenntnis des Bonustitels von Christian Näthe: „Du bist und bleibst ein Träumer… Ein Nischengewächs.“
Ach ja – und dann ist da ja noch die Frage nach dem Album-Titel offen...
Erst kurz vor dem Ende dieser musikalischen East-Folk-Rock-Tour-de-force erfahren wir, was es tatsächlich mit diesem „Dampferjazz“-Titel auf sich hat, der nämlich für eine bitterböse Abrechnung mit den so genannten Butterfahrten steht, bei denen man ahnungslosen und manchmal ein wenig zu gutgläubig gepeilten Zeitgenossen der oftmals hochbetagteren Art den größten Scheiß andreht: „Dampferjazz, Dampferjazz! Leinen los, auf geht die Reise. Dampferjazz, Dampferjazz! Zum Nachtisch gibt es Götterspeise.“
Auch wird, nachdem wir diese musikalische Butterfahrt mitgemacht haben, warum sich die Jungs, denen das Hasen-Darm-Endprodukt näher als der gute Götterspeisen-Geschmack ist, klar, warum sie sich unter ihrer Homepage als eine Band, die 'Akustik Guitar Trash Balladen' spielt, charakterisieren. Dazu sollte allerdings noch ergänzt werden: Mit wirklich starken deutschen Texten, die keinen Dünnpfiff sondern Synapsen-Ekstasen auslösen!
Eine dieser Ekstasen dürfen wir dann zudem mit „Penny“ genießen, wenn beispielsweise in diesem Song das Problem geklärt – oder besser wohl doch nicht geklärt – wird, wie man sich als leidenschaftlich-verliebter Pubertierender einem finsteren Gothic-Mädchen nähert, indem man seine eigentliche Musikleidenschaft für kunterbunte Reggae-Rhythmen verleugnet und sich ins Reich der musikalischen Finsternis begibt, um dort sein loderndes Liebesfeuer entfachen zu können.
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HASENSCHEISSE jedenfalls treten auf vier Songs sogar mit der Begleitung des deutschen FILMORCHESTERs BABELSBERG das musikalische Ostrock-Erbe solch einer Band wie die großartigen DEKADANCE, die sich gerade erst aufgelöst haben und bei denen auch OLAF SCHUBERT mitmusizierte, an. Deren Amiga-Platte war jedenfalls ein absoluter Volltreffer und lebte von genau solch hintergründig-humorvoller Atmosphäre samt breit gefächerter Rock- und Soul- und Folk-Affinität wie der „Dampferjazz“, den HASENSCHEISSE voller Inbrunst an den Mann und die Frau bringen – so als musizieren als Gäste bei ihnen DIE ÄRZTE mit einem Hauch östlichen OLAF SCHUBERT-Humor, auch ganz ohne querkarierten Pullunder. Reicht das als FAZIT? Wenn nicht, dann hat ausschließlich der Kritiker mit seiner Schreibe versagt und Hühnerkacke zu HASENSCHEISSE geschrieben. Ansonsten gilt: Großartige Scheibe, bei der besonders der herrlich gestaltete 'ohrale' Doppel-Vinyl-Erguss eine riesige Freude und Befriedigung bereitet.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.09.2022
André Giese
Christian Näthe, Stephan Fuchs, Matthias Mengert, Sascha Lasch, André Giese
Christian Näthe, Rudi Feuerbach
Sascha Lasch
Stephan Fuchs (Akkordeon), André Giese (Banjo, Mundharmonika), Rudi Feuerbach (Banjo)
BuschFunk Vertriebs GmbH
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12.08.2022