Früher nannte er sich ROOKLING. Eine Übertragung ins Deutsche – der Protagonist stammt aus dem Süden Englands – lässt offen, ob sein früherer Name von Turm, Saatkrähe, Gauner oder Bauernfänger herzuleiten sei. Von Letztgenannten allerdings kaum, denn auf seiner Debüt-EP präsentiert sich JEM BOSATTA als gefühlvoller Singer-Songwriter, der das Herz im wahrsten Sinn des Wortes auf der Zunge trägt.
„Loss & Love“, das sind sechs selber geschriebene, in der ursprünglichsten und ehrlichsten Ausdrucksform eines Musikers präsentierte Songs: Stimme – und damit Texte – im Vordergrund, sparsam instrumental begleitet (aber gekonnt arrangiert) und vor Publikum in den Famous Gold Watch Studios von Cameron Laing und Bob Spencer aufgenommen. Unverfälschter und intimer geht es kaum; kleine stimmliche Unsicherheiten überhört man in diesem Fall gerne.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/eCmr-diTKBc" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
JEM BOSATTA hat seine Paten im Folk der 1960er-Jahre, NICK DRAKE etwa, LEONARD COHEN oder DONOVAN. Die ersten Takte von „Cases“ wecken diesbezüglich gewisse Befürchtungen, die dann allerdings bald verfliegen: BOSATTA ist es nicht ums Imitieren zu tun, auch wenn er spielt und singt, wie es seinerzeit seine Vorbilder getan haben. Ein Nostalgietrip ist „Loss & Love“ jedenfalls nicht, die Songs sind aktuell – und sehr persönlich.
Im oben genannten Auftaktsong thematisiert BOSATTA in schwermütiger Art die traurige Erkenntnis, zwar zu leben, zu erleben – und trotzdem keine Wurzeln zu haben: „I have nothing to believe in.“ Im darauffolgenden „Weeds“ geht es dann bloß musikalisch etwas heiterer zu und her; es ist die Geschichte eines gewaltsamen Todes und der Ahnung, dass das Andenken an das Opfer bald verblasst sein wird – „… the world goes on turning regardless and the weeds will wither away.“
„Father“ ist ein schlichter Folksong, in dem sich BOSATTA gedanklich seinem Vater nähert und dessen Lebenserfahrung mit der seinen vergleicht, aber auch die dunkleren Erinnerungen der Beziehung nicht ausklammert. Im abschließenden „Killer“ schließlich dominiert das Dunkle. BOSATTA singt über die finsteren Seiten menschlichen Denkens und über den Unterschied, diesen beim Schreiben von Texten Platz zu geben oder aber für Teufeleien die große Bühne und das Rampenlicht zu suchen.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/0Zu6BsEJfzY" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
FAZIT: „Loss & Love“ ist eine ebenso intime wie kühne Veröffentlichung – grundehrlich, ohne Schnickschnack oder verkaufsfördernde Anbiederung. Ein starker Einstand! Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich JEM BOSATTAs Schaffen weiterentwickelt.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.04.2022
Jem Bosatta
Jem Bosatta
Michael Brinkworth (Harmonica), Tess Daniel, Jessie Monk, Gal Klein (Choir), Tseroeja van den Bos (Viola)
Independent
26:16
25.03.2022