Ein neues KAIPA-Album ist immer ein Grund zur Freude, denn Studioproduktionen der schwedischen Prog-Veteranen sind anders als bei ihren Landsleuten The Flower Kings eine Seltenheit geworden, also darf man umso gespannter auf "Urskog" sein, das fünf Jahre nach "Children of the Sounds" erscheint.
Die vertraute Mischung aus schwedischem Folk, Progressive und Jazzrock war in der Vergangenheit manchmal viel herkömmlicher gestrickt und vorhersehbar als 2022. KAIPA finden sowohl in den Longtracks als auch während der kürzeren Kompositionen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen lyrischen Instrumentalpassagen und oft chorisch arrangierten Vocals. Patrick Lundström und Aleena Gibson sind das Traumduo an der Spitze, dem jede musikalisch heraufbeschworene Stimmung gelegenkommt, um sich mit einem entsprechend emotionalen Vortrag zu beweisen.
Hauptkomponist Hans Lundin hat sich unterdessen im Rahmen der Arbeit an seiner eigenen Werkschau "Hans Lundin: The Solo Years 1982-1989" auf alte Tugenden beschworen, und sein Old-School-Prog-Ansatz erweist sich im Verbund mit einer zeitgemäßen Produktion - gerade im Schlagzeug- und Bass-Bereich - als unschlagbare Kombination.
Das knapp 19-minütige ´The Frozen Dead Of The Night´ erinnert mit seinem Gesangs-Intro dermaßen stark an Queen, dass man sich als Fan der britischen Pop- und Rock-Legende prompt in KAIPAs Bann geschlagen sieht - und dieses Vertrauen in die Band soll sich lohnen, denn "Urskog" fesselt über fast 70 Minuten hinweg und gehört locker zu den drei besten Werken in der nun 14 Studioalben umfassenden Diskografie der Gruppe. Eine im Opener thematisch (Jahreszeiten, Leben und Tod) und motivisch (die Melodien) geöffnete Klammer schließt sich ganz logisch im finalen ´The Bitter Setting Sun´.
Dazwischen begeistern die erst elegischen und dann lebensfrohen zehn Minuten von ´In A World Of Pines´ und der virtuose Wirbelwind ´Wilderness Excursion´, wohingegen mit E-Geigen-Klängen erstaunlich stark an jüngere Kansas erinnert und der Titeltrack nach schummriger erster Hälfte zu einem komplexen Gentle-Giant-Tribut wird.
FAZIT: Mit neuem Drummer und alter Frische wirken KAIPA im Jahr 2022 wie eine junge Retro-Prog-Band, obwohl sie diesen Sound mitgeprägt haben. "Urskog" zeugt von einer Gruppe, die nicht bereit ist, sich auf ihren Vorreiter-Lorbeeren auszuruhen und nur ihren Schuh herunterzuspielen, also steht die Platte obligatorisch auf dem Einkaufszettel jedes Genre-Fans. <img src="http://vg08.met.vgwort.de/na/62edd771a7614944a38f6fcf8a767ff8" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.04.2022
Jonas Reingold
Hans Lundin, Patrik Lundström, Aleena Gibson
Per Nilsson
Hans Lundin
Darby Todd
Inside Out / Sony
67:26
22.04.2022