<b>„Das Album spiegelt meine musikalische Reise wider und ist voller Beiträge von langjährigen Freunden, die ich auf meinem Weg getroffen habe. Es entstand nach und nach, wann immer ich eine Idee hatte, rief ich ein paar Freunde an und wir verwirklichten diese Idee. Am Ende waren 26 Musiker daran beteiligt.“</b> (Lars Kutschke)
In Sachsen und Umgebung, besonders in den Regionen von Meißen, Riesa und Großenhain, ist der Name Kutschke fast allen dort ansässigen Bewohnern ein Begriff. Denn lange Zeit residierte dort ein Rainer Kutschke als Landrat – und er fiel offensichtlich dadurch auf, dass er tatsächlich 'rockte'. Ein Mann eben, den man schonmal in der Kneipe mit Jeansjacke oder beim Konzert im Rocker-Outfit treffen konnte, kaum dass er seinen zwar als Landrat untadelig sitzenden, aber trotzdem irgendwie unbequem, gar unpassend erscheinenden Anzug abgelegt hatte. Denn unbequem und sich nicht irgendwelchen sinnlosen Parteilinien unterwerfend, sondern nach steinigeren Wegen suchend, war eins seiner obersten Gebote. Ja, der Mann war ein Rocker im etablierten Selbstbeweihräucherungsgewerbe der Politik, ein Rolling Stone zwischen allen ABBA-Avataren. Und wenn er mal einen Empfang geben musste, dann konnte man glattweg einen darauf lassen, dass immer eine spannende Band die musikalische Umrahmung unternahm. Wenn man dann auch noch ganz großes Glück hatte, war einer der geladenen Musiker sein Sohn Lars, der bereits nach seinem Musikstudium in Dresden als schon damals begnadeter Gitarrist das bieder vor sich hinschlagernde Deutschland Richtung Rotterdam verlassen hatte, wo 'seine wahre Schule als Musiker' begann und wo ihn die amerikanische Sängerin SHARRIE WILLIAMS, die 'Prinzessin des Rockin' Gospel Blues', auf einem Blues-Festival entdeckte und ihn in ihre amerikanische Heimat Michigan einlud.
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Nicht hier also, sondern im Land der Blues- und Rock'n'Roll-Wurzeln wurde aus dem Meisterschüler der Gitarren-Meister, der nun rund um die Welt tourte, in über 40 Ländern auftrat und an der Gitarre, indem er seinen ganz eigenen Gitarrero-Stil entwickelte, bewies, welch Ausnahmemusiker er – der Typ aus Saxonia – längst geworden war, den man gut und gerne mit den größten Gitarristen der Blues-Rock-Szene vergleichen konnte. Und spätestens wenn man Kutschkes aktuelles Album „While We're Here“ gehört hat, darf man ohne jegliche Untertreibung behaupten, dass die Amis zwar ihren JOE BONAMSSA, wir aber unseren LARS KUTSCHKE haben, auch wenn dessen Musik so amerikanisch klingt, dass man ihm seinen sächsischen Heimat-Hintergrund kaum glauben kann, denn seine persönlichen Roots liegen wirklich in Deutschland, seine musikalischen aber unüberhörbar in Amerika.
Und spätestens wenn man seine Zusammenarbeit mit BIG DADDY WILSON bei „Trying To Find My Way Home“ hört und als Video sieht, dann weiß man, dass dieser begnadete Musiker sich überall hören und sehen lassen kann und dabei allen, denen der Blues, Jazz und Soul noch ein wenig im Blut liegt, das Lebensgefühl vermittelt, welches in der musikalischen Schnelllebigkeit unserer Stream-Kultur vielen leider komplett abhanden gekommen zu sein scheint.
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Kutschkes faszinierendes Können an der Gitarre sprach sich natürlich auch in Deutschland – ganz besonders im Osten – herum, sodass er schnell als Mitglied oder musikalischer Begleiter von KEIMZEIT, ZÖLLNER, USCHI BRÜNING sowie ALPHAVILLE oder SIDO wurde und sogar mit RAMMSTEIN zusammenarbeitete.
Nun also legt LARS KUTSCHKE mit „While We're Here“ sein erstes eigenes Album vor, das ausschließlich unter seinem Namen erscheint, in sich aber 26 Musiker und ganz verschiedene, sich trotzdem gegenseitig ergänzende Musik-Stile wie Blues, Rock, Jazz und Gospel, vereint. Kutschke beweist in den knapp 50 Minuten dieses Albums, dass er ein Gitarrist von Weltklasse ist, der einerseits einer ostdeutschen Provinz entstammt – mit seiner Leistung als Gitarrist aber die ganze Welt zu erobern versteht.
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Schon der Einstieg in das seinen Großeltern gewidmete Album mit „Chelsea Morning“ ist dermaßen gelungen, dass der unbedarfte Hörer diese Musik nicht etwa mit einem deutschen, sondern viel eher mit einem britischen Musiker wie beispielsweise JAY STAPLEY oder PETER GREEN in Verbindung bringen wird. Noch dazu gibt es hier neben einer gehörigen Prise Soul und Jazz eine echte Wohlfühl-Melodie zu hören, die einen umschmeichelt und mit auf die Reise nimmt wie es der „Albatross“ vor fast 55 Jahren tat.
Dem instrumentalen Eröffnungsstück schließt sich die soulige Ballade „I Want My Baby Back“, gesungen von TAD ROBINSON, dem Frontmann von Dave Specters SPECTERS BLUEBIRDS, an. Im Laufe des Albums werden dann noch drei weitere Songs folgen, die dieser Mann mit dem puren Soul in der Stimme veredelt, wie LEON RUSSELLs „Hummingbird“ oder JOHN CLIFFORTHs „The Closest I'll Get To Heaven“ und NEIL YOUNGs „Coupe De Ville“.
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Wenn man dann bei „Denise And The Nephew“ beim Klang einer fetten Hammond Orgel und stereomäßig gigantisch verteilten drei Gitarren – links eine Les Paul, rechts eine Stratocaster und in der Mitte Kutschkes Telecaster – in einer Welt schwebt, die uns solche Größen wie BOOKER T. & THE M.G.'S oder Greens FLEETWOOD MAC vorm geistigen Auge und vor allem den weit offenen Ohren erscheinen lassen, dann hat uns dieser Kutschke endgültig verzaubert. Und selbst dem Kritiker fallen eigentlich nur noch Superlative rund um „While We're Here“ ein – denn genau aus dem Grund ist diese Welt mit all ihrem Grauen und den ewigen Frustschiebern und digitalen Hasspredigern noch erträglich. Weil es solche Musik gibt, die uns klangvoll zeigt, wo wir hingehören. Selbst wenn es eines Tages so weit sein sollte, dass wir davonfliegen müssten, dann könnten wir uns nur zu gut vorstellen, dass uns LARS KUTSCHKE dabei mit seinem „One Day I'll Fly Away“ begleitet...
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...oder wir halten uns einfach an den Kutschke-Worten fest, die er uns im Inneren des dreiflügeligen Digipaks seiner CD mit auf den Weg gibt, wenn er darin feststellt, dass dieser Mix aus vielfältigen Musik-Stilen und Rhythmen uns das Tor zur Freude an der Musik öffnet, um den Moment zu genießen und erkennen zu können: „Darum sind wir hier!“
Hört man dieses Album, das mit Youngs „Coupe De Ville“ ausklingt, und versucht, jemanden zu finden, der ähnlich wie Kutschke als begnadeter, innovativer Gitarrist (s)einen Weg durch die Stile beschreitet, die von britischen und amerikanischen Wurzeln geprägt sind, dann fällt einem nach langem und verzweifeltem Suchen eines Ebenbürtigen eigentlich nur noch ein ganz großer deutscher Gitarrist ein, der mit seinen SONGDOGS Unglaubliches leistet, auch wenn er sich (Genau wie LARS KUTSCHKE!) seinen Namen als Begleiter anderer berühmter Musiker, von ROBERT PALMER bis HERMAN BROOD oder von LINDENBERG über MAFFAY bis hin zu WESTERNHAGEN und gar PETER MAFFAY, machte: CARL CARLTON!
Nun endlich dürfen wir auch einen zweiten Namen in einem carltonschen Atemzug aussprechen: LARS KUTSCHKE!
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FAZIT: Kommt es manchmal vielleicht einem Fluch gleich, wenn man als begnadeter (deutscher) Musiker, der sich mit charismatischem, sehr eigenständigen, aber eben deutlich am amerikanischen Blues und britischen Rock orientierten Gitarrenspiel seinem deutschen Namen die Treue hält? Schon ein Robert Zimmermann, der als Ami mit deutsch klingendem Namen keine Weltruhm-Chance sah, entschied sich am Beginn seiner Karriere für ein Pseudonym, unter dem er nicht nur unendliche Folk-Blues-Singer/Songwriter-Musikgeschichte schrieb, sondern sogar den Literatur-Nobelpreis absahnte. LARS KUTSCHKE steht zu seinem Namen und seiner emotionalen Musik zwischen Blues, Soul, Americana und Rock, mit der er schon in aller Welt unterwegs war und alle Welt zu beeindrucken verstand. Darum ist er auch hier und bleibt hier und wird mit „While We're Here“ ('Eine Liebesarbeit, die mit vielen Freunden aus der internationalen Musik-Szene aufgenommen wurde.') einen musikalischen Gruß in die Welt aussenden, der eigentlich von allen, die ihre Musik-Sozialisation nicht nur übers 0-8-15-Radio betreiben, gehört und kurz darauf ganz bestimmt geliebt werden sollte.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.08.2022
Tom Götze, Attila Herr, Oliver Klemp
Tad Robinson
Lars Kutschke, Kirk Fletcher, Alex Schultz, Ada Gabor
Alberto Marsico, Simon Oslender, Matthias Bätzel, Til Sahm, Gabor Gyongyosi, Jeroen Van Zutphen
Heiko Jung, Stephan Salewsk, James Sexton
Andreas Gundlach, Frank Bartsch (Hörner), Jan Kaiser (Trompete), Michael Skulski (Saxofon), Chris Hermann, Gerald Meier (Posaunen), Frank Fritsch (Horn, Saxofon), Skip Reinhar (Trompete, Horn), Angela McClendo, Glynis Yowell (Hintergrundgesang), Alina Gropper, Michael Spiecker (Geigen), Magdalena Baudisch (Cello)
Timezone Records
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22.07.2022