Um es gleich vorweg aus dem Weg zu räumen: Den Begriff „Centrifics“ wird man in gängigen Wörterbüchern so schnell nicht finden, denn den hat sich die kalifornische Songwriterin MARINA ALLEN als Titel für ihr zweites Album schlicht und ergreifend ausgedacht, um das Thema ihres Werkes – das Studium des Zentrums (so die gedachte Übersetzung des Titels) – anschaulich beschreiben zu können.
Leicht gemacht hat sie es sich dabei nicht – wie es das Covermotiv zeigt, auf dem ein stilisiertes Foto von ihr zu sehen ist, auf dem sich die verschiedenen Stationen des Begriffes „Centrifics“ gekritzelt hat, um den Hörer/Betrachter an dem Prozess der Sinnfindung teilhaben zu lassen. Eigentlich – und das machen dann die stilistisch vollkommen unberechenbaren, vertrackt und ambitioniert inszenierten Chamber-Pop- und Folk-Songs deutlich – geht es auf „Centrifics“ aber weniger um ein Studium, als um eine Suche. Hierbei lässt sich die Musikerin von ihrer Intuition und ihrem Bauchgefühl leiten, folgt den Eingebungen, die ihre Songs ihr vorgeben, lässt sich treiben, folgt keinerlei Regeln und überrascht mit Querverbindungen, die andere vielleicht gar nicht erkennen würden.
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Tatsächlich ist MARINA ALLEN als Songwriterin offensichtlich von ganz anderen Dingen inspiriert, als viele ihre Kolleg(inn)en und mischt in ihren Songs Elemente aus der Folk-Musik, dem Jazz, Neo-Klassik und Indie-Pop auf eine faszinierende und so bislang noch nicht gehörte Art und Weise. Dabei kümmert sie sich nicht um existierende Regelwerke, Erwartungshaltungen oder eigene Erkenntnisse, sondern versucht – und das sagt sie selber – stets zum Kern dessen vorzudringen, was sie gerade musikalisch in der Mangel hat. Das Wichtigste ist ihr dabei aber nicht die Bilderstürmerei, sondern die Authentizität einer Idee. Und das führt dann zu Minimal-musikalischen Moritaten („Celadon“), Torch Song Balladen („Getting Better“), Laurel-Canyon-Folk („Smoke Bush“), Indie-Pop mit Brill-Building-Flair („Superreality“), Noir-Jazz „New Song Rising“ oder konfessionellem Folk-Pop („Half Way Home“).
Möglich ist da alles – und sein muss da gar nichts.
Hauptsache, alles ist authentisch.
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FAZIT: Schon seit sie 2020 ihr Debüt-Album „Candlepower“ veröffentliche, suchen die Kritiker mehr oder minder hilflos nach musikalischen Referenzen, mittels derer sich die Musik von MARINA ALLEN beschreiben ließe. Das ist aber falsch gedacht, denn MARINA ALLEN definiert sich nicht über musikalische Referenzen, sondern über die Attitüde als Songwriterin. Das Wichtigste ist ihr die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber – und den Zuhörer an dem Prozess der Selbstbespiegelung teilhaben zu lassen, dem sie sich songwriterisch auf der Suche nach dem Zentrum verpflichtet sieht. „Centrifics“ ist demzufolge ein Schritt auf diesem Weg.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.09.2022
Marina Allen
Marina Allen
Fire Records
40:08
16.09.2022