<b>„Bevor mit diesem Album alles so gut lief, musste erstmal alles schiefgehen. Es hat Jahre gedauert, aber es passierte etwas, als wir unsere Köpfe wieder zusammensteckten. Wir haben diese Balance, dieses 'Push-me-pull-you'-Ding und es funktioniert wirklich gut.“</b> (Roland Orzabal)
<b>„Wenn diese Balance auf einem TEARS FOR FEARS-Album nicht funktioniert, dann funktioniert die ganze Sache einfach nicht.“</b> (Curt Smith)
Es hat verdammt lange gedauert, bis 'diese Balance' und das 'Push-me-pull-you'-Ding endlich wieder funktionierten. Unglaubliche 17 Jahre lang, so lange, wie man als Baby bis zur Volljährigkeit braucht – und dieses volljährige Musik-Baby namens „The Tipping Point“ von TEARS FOR FEARS erwachsen werden durfte.
Es war eine verdammt lange Zeit Funkstille um dieses ungeheuer kreativ-musikalische Duo, das in den 1980ern millionenfach ihre Platten verkaufte und dessen Bandname TEARS FOR FEARS (Tränen vor Angst) beim gegenwärtigen (kriegerischen) Zeitgeschehen leider ungeahnte Aktualität erhielt.
Da wenden wir uns doch viel lieber der Musik auf „The Tipping Point“ zu, welche allerdings auch viele traurige Momente besitzt und zugleich eine eindeutige Rückbesinnung an 'die guten alten Zeiten' ist. Ob die allerdings noch eine ähnlich gigantische Wirkung wie vor gut 40 Jahren hinterlässt, ist anno 2022 mit einem großen Fragezeichen versehen.
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Auf jeden Fall war es erstmal eine riesige Überraschung vom Millionenseller-Pop-Duo, das mit Songs wie „Shout“, „Everybody Wants To Rule The World“, „Mad World“ oder einer der faszinierendsten Duett-Balladen (mit OLETA ADAMS), „Woman In Chains“, Pop-Musik-Geschichte schrieb, ohne großes Brimborium im Vorfeld mit einem neuen Album auf der Bildfläche erschien, das, ganz ehrlich gesagt, kaum großartige Veränderungen zu den vergangenen Erfolgsalben aufweist. Nur – auch so viel sollte ehrlich festgestellt werden – ein dermaßen großartiger Hit wie die bereits genannten fehlt, selbst wenn der Album-Opener „Break The Man“, dessen Video noch dazu mit dem Treppen-Motiv von H.C. ESCHER spielt, ganz ähnlich wie auch das komplex-verschachtelte LP-Cover mit den Stühlen, schon ganz nah an den absoluten Super-Hit-Qualitäten des britischen Pop-Duos Roland Orzabal & Curt Smith ist.
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Auch auf „The Tipping Point“ <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2020/Tears-For-Fears/The-Seeds-Of-Love/" target="_blank" rel="nofollow">säen TEARS FOR FEARS intensiv ihre Saat der Liebe</a> und setzen wie bereits 1989 auf hymnischen Pop und Melodien mit Ohrwurmcharakter oder auch flott-tanzbaren Nummern, die sich stark im Electro-Pop-Bereich bewegen, genau wie der Titeltrack.
Doch selbst wenn das Album den Titel 'Wendepunkt' trägt, so bezieht sich dieser in keiner Weise auf die musikalische Ausrichtung, sondern vielmehr auf die thematische. Natürlich ist in den 17 Jahren Funkstille viel im persönlichen wie politischen Bereich rund um die beiden Musiker geschehen – und so werden die gesellschaftlichen Probleme vom Rassismus über den Krieg bis zum Klimawandel genauso in den Texten verarbeitet, wie die persönlichen, wobei der Schwerpunkt auf der Sucht, der Demenz und dem Tod von Orzabals Frau liegt – aus diesem Grunde fiel die Titel-Wahl auch auf „The Tipping Point“.
Der Song fängt sowohl im Text wie auch in dem schwer beeindruckenden Video, bei dem der berühmte Matt Mahurin, der bereits für JONI MITCHELL, U2 und METALLICA drehte, die Regie führte, stimmungsmäßig und bildkräftig Orzabals Leiden im Umgang mit der schweren Abhängigkeit und dem Tod seiner Frau einfängt. Schon aus dieser Sicht wird wohl „The Tipping Point“ zu einem der persönlichsten Alben von TEARS FOR FEARS, aber nicht zu deren besten.
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Bei „No Small Thing“ werden dann die politischen und persönlichen Themen im Grunde komprimiert und hinter dem alles entscheidenden Wort – das wirklich nicht nur 'ein kleines Ding' ist – „Freiheit“ vereint. Besonders klug erfolgt hierbei auch die musikalische Umsetzung, denn der Song steigert sich von einem fragilen Teil hin zu einem typisch bombastischen TFF-Pop-Werk voller Volumen und Druck, fast ein wenig mit dem Post Rock liebäugelnd. Ein echter „Shout“ eben und dem 1985er-Frühwerk von „Songs From The Big Chair“ sehr nahe.
Getreu ihren altehrwürdigen Hit-Qualitäten navigieren sich TEARS FOR FEARS, neben den durchaus poetisch wie kritischen oder nachdenklichen Texten, musikalisch sehr zielsicher durch ihren „Wendepunkt“, der eigentlich keiner ist – auch wenn aus den einstigen dunkelgelockten Bubi-Köpfen nunmehr grau-glatzige geworden sind. Ihre Stimmen jedenfalls haben keinen Rost angesetzt und auch die Satzgesänge sind noch immer so gut wie je zuvor, als die Beiden als eine Art SIMON & GARFUNKEL der anspruchsvollen Pop-Musik durchgingen.
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FAZIT: Auch nach 17 Jahren Pause klingen TEARS FOR FEARS auf ihrem neuen Album „Tipping Point“ nicht etwa nach einem, wie's der Albumtitel verheißt, Wendepunkt, sondern nach dem musikalischen Jungbrunnen der lange vergangenen TEARS FOR FEARS-Zeiten, die 1983 mit "The Hunting" begannen und 1985 mit dem grandiosen Album „Songs From The Big Chair“ fortsetzten. Auch wenn die Texte – erfahrungsbedingt und durch tragische persönliche Ereignisse geprägt – zwar nachdenklicher und kritischer geworden sind, so bleibt „Tipping Point“ genau das, was man von dem Duo Ozrabal/Smith erhofft: ein typisches TEARS FOR FEARS-Album, das die guten alten Zeiten noch einmal aufblühen lässt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.03.2022
Curt Smith
Roland Orzabal, Curt Smith
Roland Orzabal
Roland Orzabal
Concorde Records/Universal Music
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04.03.2022