Kurz gesagt: Bei THE AMERICANS ist nichts so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Zwar macht das Trio aus Los Angeles nun wirklich Musik, wie sie amerikanischer nicht sein könnte und begann seine musikalische Laufbahn auch als Straßenmusiker-Gang, die alle Spielarten klassischer amerikanischer Musiktraditionen zwischen Bluegrass, Folk und Blues bediente – und das sogar für eine lange Zeit zwischen 2010 und 2017 – bis sie schließlich ihr Debütalbum „I'll Be Yours“ veröffentlichten.
Jetzt kommt allerdings das große „aber“, denn Frontmann PATRICK FERRIS, ZAC SOKOLOV und JAKE FAULKNER nannten ihre Band keineswegs aus übertrieben patriotischen Gründen THE AMERICANS, sondern weil sie beeindruckt waren von der 1959 erschienenen gleichnamigen Fotosammlung des Schweizer Fotografen Robert Frank, der mit Foto-Porträts der kleinen Leute ein grundlegendes Zeugnis des Nachkriegs-Amerikas erschuf. Und um genau diese kleinen Leute geht es ja auch in den Songs der AMERICANS.
Auch was den musikalischen Ansatz betrifft, ist die Sache keineswegs eindeutig. Denn anstatt sich in klassischen Americana-Klischees zu üben, versuchten THE AMERICANS von Anfang an, einen eigenen Weg als Rock-Band zu gehen – schon alleine deswegen, weil sie keine andere Band in ihrer Art fanden. Der Ansatz, den THE AMERICANS auf ihrem zweiten Album nun verfolgen, ist ein faszinierender: Ausgehend von obskuren klanglichen Ideen entwickeln sie ihr Material um diese Details herum, bis am Ende zwar einerseits etwas dabei herauskommt, das – vielleicht aufgrund des typisch amerikanischen Harmonie-Settings – irgendwie vertraut klingt, aber im Grunde genommen in konkret der dargebotenen Form so noch nie zu hören war. Bestes Beispiel dafür sind Stücke wie der Titeltrack „Stand True“, ein Song über das Thema Treue und Hingabe, der als Folksong beginnt, in den Refrains dann aber mit total originären Rock-Riffs überrascht, oder „Romeo“, eine amerikanisierte Version des Romeo & Julia-Themas, die musikalisch um ein mit diversen Flanger- und Hall-Effekten psychedelisch verziertes, hypnotisches Gitarrenriff ausgebaut ist, bis der Track im Refrain erneut mit rauen Breitwand-Rock-Riffs explodiert.
Da sage noch mal jemand, dass man in der konventionellen Rock-Musik heutzutage nichts mehr reißen könne!
THE AMERICANS widerlegen diese These jedenfalls mit „Stand True“ eindrucksvoll. Das Album wurde im legendären, analogen Big Bad Sound-Studio in Los Angeles von der Band selbst produziert und eingespielt, wo die AMERICANS zuvor auch ihr einziges Pandemie-Konzert spielten, was zum Glück als eines der wenigen Video-Dokumente der Band festgehalten wurde.
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FAZIT: THE AMERICANS besitzen mit PATRICK FERRIS einen charismatischen Frontmann, der nicht nur schneidig aussieht wie ein Rockstar aus besseren Zeiten, der mit den besten Rock-Beltern seiner Zunft mithalten kann und als Lyriker in der Tradition großer amerikanischer Songwriter steht – und dennoch laufen bei „Stand True“ die naheliegenden Vergleiche mit SPRINGSTEEN, MELLENCAMP und JASON ISBELL und ähnlichen Klassik-Rockern ins Leere, denn zum einen sind Ferris' Texte eher vertonte Lyrik als praktiziertes Storytelling und zum anderen wurden THE AMERICANS aus Notwendigkeit (und nicht etwa, weil sie es anstrebten) zu Innovatoren klassischer US-Musiktraditionen. Das erkannten auch T-BONE BURNETT und JACK WHITE, mit denen THE AMERICANS auch an dem monumentalen Projekt „The American Epic Sessions“ zusammenarbeiteten.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.05.2022
Jake Faulkner
Patrick Ferris
Zac Sokolov
Loose
37:34
06.05.2022