Natürlich haben auch die BALLROOM THIEVES aus Boston die Pandemie nicht unbeschadet überstanden. Ganz im Gegenteil – ein Autounfall und vor allen Dingen der Weggang des langjährigen Bandmitgliedes DEVIN MAUCH haben CALLIE PETERS und MARTIN EARLY – das nun verbleibende Rest-Duo – zusätzlich geschröpft. Unterkriegen ließen sich die beiden aber keineswegs. Davon zeugt das nun vorliegende vierte Album „Clouds“, dass die BALLROOM THIEVES musikalisch erneut auf dem Erkundungspfad zeigt und inhaltlich wiederum deutlich macht, dass beide – wie sie selbst sagen – nicht an „leichtfertig definierten Weltanschauungen“ interessiert sind. Will meinen: „Clouds“ ist ganz schön vielschichtig und komplex – aber auch dementsprechend spannend und dennoch zugänglich geraten.
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Fangen wir mal mit dem Grundthema an: Die besungenen „Clouds“ sind keinesfalls eine Metapher für traumtänzerische Leichtfertigkeit (gleichwohl die überraschend leichtfüßig und locker inszenierte Musik dies verheißen könnte), sondern Ausdruck des Sehnens nach der zweiten Pandemie-Scheibe nun endlich wieder die Freiheit des Tour-Lebens erfahren zu dürfen.
Wo sich andere darüber beklagen, in der Pandemie auf kreativen Input von außen verzichten zu müssen, fanden CALLIE und MARTIN ihre Inspirationen in einer Vielzahl von „inneren“ Themen: „Worldender“ thematisiert die Tendenz des Menschen, die Natur mit allen Mitteln ausbeuten zu wollen. Dass sich dabei „Worldender“ auf „surrender“ reimt, ist sicherlich kein Zufall.
In „The Lightning“ singt CALLIE dann über einen Sturm, welcher sich über einer Beziehung zusammenbraut.
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„Borderline“ ist eine poetische Reflexion über die masochistischen Aspekte der Liebe, die LEONARD COHEN auch nicht lakonischer hinbekommen hätte.
In „Shine“ geht es um die wehmütigen Erinnerungen an die vielen kleinen schönen Momente des vermissten Tourlebens und in „Harry Styles“ gestehen sich CALLIE und MARTIN ihr gemeinsames Schmachten nach – nun ja – „Harry Styles“.
Besonders schön zusammengefasst wird das „Clouds“-Prinzip aber im Song „Shadow“, der zum einschmeichelndsten Gitarren-Sommer-Pop wird und, von CALLIEs verträumten Gesangsharmonien unterstützt, mit heiterer Gelassenheit humorvoll über das Thema Depression resümiert.
Keine Frage: THE BALLROOM THIEVES sind an den persönlichen wie universellen Anforderungen gewachsen und haben mit „Clouds“ – gegen alle Widerstände – ihr bislang stärkstes Album vorgelegt.
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FAZIT: Vom ursprünglichen „Indie-Folk“-Label hatten sich THE BALLROOM THIEVES bereits als Trio weitestgehend freigeschwommen. Die notwendige Reduktion, die der Weggang von DEVIN MAUCH (und somit der dritten Gesangsstimme) mit sich brachte, setzte aber wohl ungeahnte kreative Energien frei und veranlasste CALLIE und MARTIN ihre Mittel mit bemerkenswerter Ökonomie, stilistischer Offenheit und vielseitig effizienten Arrangements musikalisch auf ein ganz neues Level zu hieven. Und die Idee, die nach wie vor eigentlich recht düsteren Lyrics mit einer gehörigen Portion musikalischen Optimismus zu konterkarieren und so eine organische Indie-Pop-Scheibe mit positiven Vibes bei gleichzeitigem emotionalem Tiefgang zu erschaffen, erwies sich auf „Clouds“ als genau richtig.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.07.2022
Carlin „Callie“ Peters
Martin Earley, Carlin „Callie“ Peters
Martin Earley
Carlin „Callie“ Peters (Cello)
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15.07.2022