Man lasse sich durch das teilweise etwas unglücklich gewählte Outfit der Protagonistin in der Bebilderung des Booklets von „Visiones“ bitte nicht zu falschen Schlüssen verleiten. VANESA HARBEK gehört nämlich definitiv nicht im Entferntesten zu der kurzlebigen Sorte der Blueserinnen, die gewisse Labels in den letzten Jahren mit den Attributen „jung, hübsch und sexsaitig“ ausstaffieren und zu etablieren versuchen.
Die 43-jährige Musikerin und Malerin ist Argentinierin mit deutschen Wurzeln und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Mit „Visiones“, ihrem dritten Studioalbum, scheint VANESA HARBEK nicht nur in Europa, sondern nun auch musikalisch angekommen zu sein. Mit ihrem letzten Album „High Heels Tango" (2020) jedenfalls ist das neue Werk nicht zu vergleichen, jetzt geht es im wahrsten Sinn des Wortes um Visionen; beispielsweise um die, Blues mit Musik aus Südamerika zu verschmelzen.
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HARBEK gelingt das mit ihren elf Visionen – ein Song wurde von Astor Piazzolla und Pino Solanas geschrieben – nicht immer, aber in vielerlei Hinsicht. Ihre Rhythmussektion sorgt fast durchgängig und in bester Manier für ein südamerikanisches Fundament, in den Texten halten sich Englisch und Spanisch die Waage; hie und da grüßt sogar Herr SANTANA ganz dezent aus der Ferne. Ihre Gitarren spielt VANESA HARBEK äußerst gekonnt, mit viel Abwechslung und ohne sich in ellenlangen Soli zu verlieren.
„Vuelvo Al Sur“, die oben erwähnte Piazzolla/Solanas-Komposition, gehört zu den stärksten Momenten des Albums. In dieser Liebeserklärung an den Süden wirkt die Sängerin authentisch, und sogar aus dem Gitarrensolo ist das Heimweh nach ihrer alten Heimat herauszuhören. Quasi das Gegenstück zu „Vuelvo Al Sur“ ist der abschließende, geradeaus rockende Song „Boring Days“, in dem sich HARBEK dezidiert von ihrer eintönigen Lehrtätigkeit verabschiedet – sie will nur das Eine: Ihre Musik spielen und touren.
„Visiones“ ist ein persönliches Album.
In der zweisprachig gesungenen jazzigen Ballade „Many Years“ erzählt HARBEK zum Beispiel vom Nichtstun, der Antriebslosigkeit und dem Warten... und kommt zum Schluss „That’s wrong, I need to move, put my life in action“. Die Umsetzung dieser Erkenntnis hat sie im eingängig groovenden Eröffnungssong „Positive Day“ allerdings schon vorweggenommen: „Today is a new day, I’ll start all over again.“
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FAZIT: VANESA HARBEK hat mit der Unterstützung versierter Leute an den Instrumenten – und dank umfassender und hervorragender Produktion von Martin Engelien in seinem Krefelder Studio – mit ihrem dritten Studioalbum „Visiones“ ein Ausrufezeichen gesetzt. Vielversprechend!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.02.2022
Martin Engelien
Vanesa Harbek
Vanesa Harbek
Thomas Hufschmidt
Berni Bovens
Pitti Hecht (Perkussion), Vanesa Harbek (Trompete)
A1 Records
51:57
14.01.2022