Das Doppel-Album „Acoustic Guitar Scene & Acoustic Guitar Festival“ ist ein willkommener Anlass zu einem Ausflug in die Vergangenheit: Mit der Clique raus zu einem Baggersee in der Nähe, Grillgut dabei, manchmal auch nur Dosenravioli, die mitunter sogar als Ersatzfrühstück herhalten mussten. Kalt natürlich. War eine Waldhütte mit Strom im Spiel, gab es Musik von der mitgebrachten Anlage. Man kann an so einem Wochenende selbst die YES-Dreifach-Live-LP „Yessongs“ verdammt oft hören. Fehlte die Elektrizität hatte irgendeiner eine Gitarre dabei. Einer dieser Typen, die von minderbegabten Musikussen verachtet und beneidet wurden, denn sie hatten Schlag bei den Mädchen. Vor allem, wenn sie das Verführungsquartett par excellence anzupften: Cat Stevens, Leonard Cohen, Simon & Garfunkel und Neil Young (die „Heart Of Gold“/“Harvest“-Phase).
Doch zur Not taten es auch „Yesterday“ (hier von Manolo Lohner mit Flamenco-Flair dargeboten), Eleanor Rigby (Wizz Jones & Werner Lämmerhirt) oder Lady Madonna (Martin Herberg). Nicht so gut wären Jigs, Rags oder Bluegrass angekommen, Stilrichtungen, die natürlich auch Einlass zum „Acoustic Guitar Scene & Acoustic Guitar Festival“-Doppeldecker bekommen. Immerhin war kurzzeitig Scott Joplin wieder populär, dank seiner Beteiligung am höchst erfolgreichen „Der Clou“-Soundtrack („The Entertainer“, auf „Acoustic Guitar Scene“ präsentiert von Tom Cat aka Bernd Dill). Cineastisch ziehen wir den vom gleichen Trio (George Roy Hill, Robert Redford, Paul Newman) hergestellten „Butch Cassidy & The Sundance Kid“ („Zwei Banditen“) vor. Dessen zentraler Song „Raindrops Keep Falling On My Head“ fehlt seltsamerweise auf den erstmalig 1975 und 1979 erschienenen Kompilationen. Dabei war das auch ein Herzschmelzer wie er im Buche der pubertären Liebesabenteuer steht.
Doch kann man „Acoustic Guitar Scene & Acoustic Guitar Festival“ nicht auf Lagerfeuer-Romantik reduzieren. Die breit aufgestellte Besetzungsliste bewegt sich locker, gekonnt, filigran und klangfarbenreich durch Folk, Blues, Rock und Jazz. Natürlich wird Django Reinhardt hofiert (Juraj Galan & Manolo Lohnes „Django“) und gelegentlich mit flinken Flitzefingern über die Saiten gejagt („Angie“, Klaus Weiland, sehr agil und mit Verve). Der ein oder andere Langweiler ist auch an Bord, doch insgesamt sind beide Alben höchst gelungene und auch heute noch hörenswerte Zusammenstellungen.
Wiederbegegnugen gibt es unter anderem mit Hannes Wader-Kumpan Werner Lämmerhirt, der „Gitarrenlehrer der Nation“ Peter Bursch ist an Bord, Martin Kolbe, Manolo Lohnes, Davey Arthur & George Furey (THE FUREYS) und manch anderer, der irgendwo an den Gestaden der Zeit gestrandet ist. Um zum Anfang mit dem Lagerfeuer zurückzukehren: Es ist fraglich, ob jeder Gitarrero von seiner Angebeteten erhört wurde, bedauerlich und irgendwie bezeichnend ist hingegen, dass kein einziges der fast fünfzig Stücke von einer Frau eingespielt wurde. Heute würde solch ein Sampler hoffentlich eine diversere Beteiligung besitzen.
FAZIT: Umfangreiche akustische Gitarrenwerkschau aus den späten Siebzigern. Von leicht fade bis brillant eine Lagerfeuerreise durch Rock, Folk, Jazz und Artverwandtem. Die wertigen Beiträge überwiegen bei Weitem, weshalb die beiden Alben auch mehr als vierzig Jahre nach Erstveröffentlichung einiges an Spaß bereiten.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.06.2022
Eine Menge Gitarristen mit akustischen Gitarren, genaue Angaben siehe Trackliste
MiG music
CD1: 76:58/CD2: 79:57
13.05.2022