Als EMILY KOKAL, THERESA WAYMAN, JENNY LEE LINDBERG und STELLA MOZGAWA 2010 ihre erste WARPAINT-LP „The Fool“ veröffentlichten, hatten sich die Damen seit ihrer Gründung im Jahre 2004 – etwa als Support Act für Bands wie YEASAYER, VAMPIRE WEEKEND oder THE XX - bereits einen Ruf als derzeit heißeste Live-Band aus dem Großraum Los Angeles erworben.
Während ihre Debüt-EP „Exquisite Corpse“ noch eine mühsame Schwergeburt gewesen war, an der WARPAINT zwei Monate herumlaborierten, bevor sie 2008 das Licht der Welt erblickte, setzte das Quartett im Folgenden ganz auf das Rezept, das sie sich im Laufe ihrer bisherigen Zusammenarbeit erarbeitet hatte – und extrahierte die gemeinsamen Songs ihrer ersten beiden Alben „The Fool“ und „Warpaint“ weitestgehend aus gemeinsamen Jam-Sessions heraus, bei denen insbesondere die rhythmischen Aspekte berücksichtigt wurden. Durch die Hinzunahme zusätzlicher Instrumente und produktionstechnischer Elemente wurde das Klangbild insgesamt zwar mit der Zeit fülliger und mit der dritten LP „Heads Up“ von 2016 - etwa mit einer stärkeren Club-Orientierung - auch zugänglicher und tanzbarer.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/YjXRyjM25b0" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
Nach einer längeren Auszeit aus persönlichen wie beruflichen Gründen (alle vier sind auch bei anderen Projekten aktiv), hatten WARPAINT gerade damit begonnen, neues Material zusammenzustellen, als die Pandemie über uns hereinbrach. Wie sich nun herausstellt, war das auf der kreativen Seite ein Glücksfall, denn die vier Frauen waren gezwungen, sich für die Ausarbeitung der neuen Songs in ihre jeweilige Pandemie-Blase zurückzuziehen. (Drummerin STELLA MOZGAWA stammt ja beispielsweise aus Australien). Das bedingte - was die Fertigstellung des damals nur in Grundzügen angelegten Materials betraf – eine vollkommen neue Herangehensweise, denn gemeinsame Jam-Sessions waren unter Pandemie-Bedingungen ja zwei Jahre lang ausgeschlossen.
Indem die Musikerinnen ihre Beiträge nun also separat voneinander einspielen mussten – und viel mehr Zeit hatten, an den Details zu arbeiten – ergab sich in der Folge automatisch ein völlig neuer WARPAINT-Sound. Und zwar merkwürdigerweise einer, der zugleich durchaus vielschichtiger, wie auch dichter und strukturierter geraten ist, als das bis dahin wohl selbst die Beteiligten für möglich gehalten hätten. Das hat mehrere Gründe: Die Basis der neuen Tracks sind erkennbar zuvor ausgearbeitete Songs – und nicht mehr alleine Jam-Sessions. Insbesondere was den Gesang betrifft, stellt „Radiate Like This“ einen Quantensprung dar, auch deswegen, weil viele der Tracks dezidiert als Balladen angelegt sind (ohne dass ganz auf einen rhythmischen Impuls verzichtet wurde).
Der abschließende Song „Send Nudes“ geht dabei zum Beispiel glatt als meditative Soul-Ballade auf akustischer Basis durch. Und die Hinwendung zu im Vergleich deutlich konventioneller strukturierten Tracks mit erkennbaren Melodien, Strophen und Refrains tun ein Übriges, wodurch das neue Album sicherlich das bislang „strahlendste“ des Quartetts geworden ist.
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/2dqR_HCfjjc" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe>
FAZIT: Dem letzten WARPAINT-Album „Heads Up“ durfte noch ungestraft attestiert werden, dass dieses immer zum Mitsingen im Pop-Song-Sinne eher ungeeignet war. Das ist mit dem neuen Werk „Radiate Like This“ deutlich anders geworden, weil sich die vier Protagonistinnen – vermutlich mit einer Portion Altersweisheit – erstmals auf Songs, Melodien und auch auf Inhalte statt alleine auf das hyperaktive gemeinsame instrumentale Miteinander beziehen. So geriet ein Großteil des neuen Materials zu durchaus charmanten Charakterstudien mit sozialkritischem Touch und sogar (unsentimentalen) Liebesliedern im psychedelischen Dreampop-Balladen-Format, bei dem die rhythmischen Aspekte organischer wie elektronischer Natur erstmals nur einen Bestandteil, nicht aber die alleinige Basis des gemeinsamen Tuns darstellen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.05.2022
Jenny Lee Lindberg
Emily Kokal, Theresa Wayman, Jenny Lee Lindberg
Theresa Wayman, Emily Kokal
Stella Mozgawa
Heirloom/Virgin
41:40
06.05.2022