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Reviews

Xentrix: Seven Words

Stil: Thrash Metal

Cover: Xentrix: Seven Words

XENTRIX sind auch auf ihrem zweiten Album seit der Reaktivierung auf Gegenkurs zum Szenetrend – anders als Altstars wie Metallica, Megadeth, Anthrax oder Testament und Heerscharen nachgerückter Bands haben sie was zu sagen. Dabei dürfte den Briten die Veröffentlichungspause zwischen 1996 und 2019 zu pass kommen. Nicht durchgehend Platten aufzunehmen, beugt offenbar dem Verschleiß schöpferischer Energien vor. Oder wie einmal ein tapferer Musiker in einem Moment der Selbsterkenntnis im Interview sagte: Kreativität ist endlich. Eine These, die neben dem Schwächeln der Konstanten ebenso von starken Comebacks untermauert wird (Kenn Nardi, Cynic, Confessor…).

Die Nordengländer waren und sind einerseits eine Band, welche die Standards des Genres bedient, ohne dem Thema grundlegend neue Impulse zu verleihen. Man darf vermuten, dass dies neben Chris Astleys Gesang seinerzeit nicht unwesentlich zum – zu kurz gegriffenen – Vorwurf des Metallica-Rip-Offs führte. Gleichzeitig nämlich besticht die Band durch Spielwitz und eine fantastische Kreativität innerhalb ihrer selbstgewählten stilistischen Grenzen. Ihre Stücke sind schlicht verdammt smart geschrieben und in entscheidenden Kriterien eben doch sehr individuell gestaltet, was trotz der klaren Genreverortung zu einer präzise definierten Identität führt.

Während „Bury The Pain“ die Charakteristika der ersten beiden Platten aufbohrte und zu einer Art „For Whose Advantage?“ auf Steroiden machte, wird auf „Seven Words“ weiter feingeschliffen. Nach wie vor liegt das Tempo meist etwas unterm Genreschnitt und erzeugt in schnellen Passagen statt größtmöglicher Raserei eher malmende Wucht. Die häufig auf die Zählzeiten eins und drei verlegte Snare und die unzähligen kleinen Fills, mit denen Schlagzeuger Dennis Gasser zusätzliche Dynamik erzeugt, lassen die Stücke aus dem Genre-Einheitsbrei hervorstechen, ohne dass es sie ihre Volles-Brett-Vorwärts-Attitüde kosten würde.

Was die Gitarrenarbeit von Gründungsmitglied Kristian Havard und Astley-Nachfolger Jay Walsh angeht, so zählt diese in Sachen Können wie Inspiration zum Besten, was die Szene zu bieten hat. Die für Havards Spiel typische Verquickung von melodischen Licks, trampelnden Grooves und perkussivem Geknatter treibt einem als Fan ebenso die Freudentränen in die Augen wie sie den Hobbygitarristen staunen lässt. Gleiches gilt für das Leadspiel. Zwar erreicht das Doppel nicht das technische Niveau von etwa Megadeth, dennoch finden sich hier jede Menge höchst anspruchs- und vor allem geschmackvoll komponierte Solopassagen abseits selbstzweckhafter Fingerübungen. Nebenbei gehören XENTRIX zur sehr überschaubaren Anzahl an Old School Thrashern, die auch mit melodischem Gitarrenspiel und im Midtempo abliefern, statt darin wie die allermeisten furchtbar zu langweilen.

Wie bereits im Review zum Vorgänger erwähnt, ist ein wichtiger Faktor für die aktuelle Klasse der Band Jay Walsh. Mehr noch als auf „Bury The Pain“, das bei seinem Einstieg fertig komponiert war und noch von Chris Astley entwickelte Gesangslinien enthielt, zeichnet er nun für seine Arrangements selbst verantwortlich. Hat man sich auf Stimme, Phrasierung und Intonation des Fronters eingestellt, seine Gesangslinien kapiert, kommt man nicht umhin, zweierlei zu attestieren. Erstens ist der Mann der wohl perfekte Thrash-Sänger. Er besitzt ein unverwechselbar klingendes, voluminöses und jederzeit glaubwürdig wütendes Grölen, ohne ins Brüllen zu verfallen und röhrt die melodischen Passagen druckvoll und ohne zu säuseln. Zweitens finden sich hier einige der geilsten Hooklines, die es je unter dem XENTRIX-Banner gegeben hat.

Songs wie „Ghost Tape Number 10“ oder das Titelstück ballern einem einerseits mit einer Brutalität entgegen, die für XENTRIX-Verhältnisse neue Maßstäbe setzt, andererseits geht der Vierer dabei so catchy zu Werk, dass man aller Klopperei zum Trotz die Stücke partout nicht wieder aus dem Schädel bekommt. Am anderen Ende des Spektrums stehen mehr denn je auf Groove und Melodie bauende Stücke wie „Spit Coin“ oder „Everybody Loves You When You’re Dead“, welche ebenfalls unausweichlich zu hartnäckigsten Ohrwürmern führen. Das Mitsing-Potenzial dieser Stücke dürfte live ein ähnliches sein wie bei Klassikern der Kategorie „Balance Of Power“.

Besonders „Seven Words“ und „Spit Coin“ verdienen noch einmal gesonderte Erwähnung, gehen sie doch nicht nur als Metal-Songs des Jahres mit unverschämt grandiosen Hooks durch, sie sind darüber hinaus außergewöhnliche Stücke, wie man sie als Band nur mit Glück überhaupt einmal schreibt. Quasi das, was „Holy Wars“ für Megadeth oder „Spinning Jenny“ für Skyclad sind. Jeder Ton genau da, wo er sein muss, musikalisches Konzept und künstlerische Essenz in einer perfekten Komposition (hier wunderbarerweise gleich zwei) eingefangen.

Es ließe sich nun fortfahren, einzelne Songs zu benennen, um der Großartigkeit von etwa „Kill And Protect“ oder „Reckless With A Smile" kein Unrecht zu tun, doch soll es beim Hinweis bleiben, dass mit Blick auf Reviews anderer Schreiber weitere persönliche Favoriten lediglich Geschmackssache zu sein scheinen, was nicht deutlicher für die Klasse der Scheibe sprechen könnte.

Abschließend ist es die erfreuliche inhaltliche Relevanz, die XENTRIX (im besten Fall Thrash Metal generell) von Eskapismus und dem Hang zur Überinszenierung vieler Metal-Genres unterscheidet. So sind auch die Texte auf „Seven Words“ realitätsbezogen, ausgezeichnet formuliert und kommentieren das Weltgeschehen ebenso wie allgemein diesseitige Themen.

FAZIT: Wo andere sich in verkopftem Fanservice, schablonenhafter Reproduktion oder kraftloser Rentenverweigerung ergehen, schütteln sich XENTRIX unverschämt locker, unforciert und mit scheinbar selbstverständlicher Eleganz ein weiteres Meisterwerk aus dem Ärmel. So bleiben sie nicht nur gegenwartsrelevant, sie verlassen auch endgültig die zweite Genre-Reihe und empfehlen sich für die Pole Position. Mit Songs voller krachender Aggression, einprägsamer Melodien und grandioser Riffs, einem der besten Sänger der Szene sowie herausragenden instrumentalen Einzelleistungen legen sie innerhalb der Stilgrenzen geradezu überbordende Kreativität und Kompositionstalent an den Tag, denen derzeit keine andere Genre-Band gleichkommt.

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.12.2022

Tracklist

  1. Behind The Walls Of Treachery
  2. Seven Words
  3. Spit Coin
  4. The Alter Of Nothing
  5. Everybody Loves You When You're Dead
  6. Reckless With A Smile
  7. Ghost Tape Number 10
  8. My War
  9. Kill And Protect
  10. Anything But The Truth
  11. Billion Dollar Babies (Alice Cooper Cover)

Besetzung

  • Bass

    Chris Shires

  • Gesang

    Jay Walsh

  • Gitarre

    Kristian Havard, Jay Walsh

  • Schlagzeug

    Dennis Gasser

Sonstiges

  • Label

    Listenable

  • Spieldauer

    45:47

  • Erscheinungsdatum

    11.11.2022

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