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Youn Sun Nah: Waking World

Stil: Jazz, Singer/Songwriter

Cover: Youn Sun Nah: Waking World

YOUN SUN NAH ist ein Ausnahmetalent aus Seoul. Die gefeierte und hoch verehrte Jazz-Sängerin, die auf ihrem letzten Album durch fantastische Eigeninterpretationen von Songs von LEONARD COHEN und MARVIN GAYE bestach, geht nach gut 20 Jahren erstmals völlig eigenständige Wege und veröffentlicht mit „Waking World“ ihr erstes von elf Studio-Alben, das ausschließlich eigene Kompositionen enthält, die natürlich denen ihrer großen Vorbilder sehr, sehr nahe kommen.

Schuld an dieser 'Eigenständigkeit' ist natürlich das uns seit nunmehr zwei Jahren in den Bann und die Isolation ziehende sowie im Schach haltende Corna-Virus. Und diese Situation, unter der auch YOUN SUN NAH gehörig leidet, schlägt sich auch auf die Stimmung von „Waking World“ nieder. Denn während ihre Songs sonst viel stärker in Richtung Ballade tendierten, werden nunmehr auch flottere Töne angeschlagen, die sich oft mit viel Pop-Appeal verbreiten, wie beispielsweise auf „Don't Get Me Wrong“, die, natürlich neben vielen ruhigeren und melancholischeren Titeln, klangvolle Hoffnung verbreiten, um in der derzeitigen Situation nicht gänzlich durchzudrehen.

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Erst kommt die Harmonie, dann die Melodie und am Ende der Text. Nach dieser Struktur 'entwirft' die gebürtige Südkoreanerin, die seit vielen Jahren schon in Frankreich lebt, laut eigener Aussage ihre elf Songs auf der klangvollen Welt, die endlich wieder aufwachen soll und die bei der eindringlichen, ausgiebig auch im Jazz geschulten Stimme, in der sie vorgetragen werden, gar keine andere Wahl hat.

Aber es werden auch eigenartige Erwartungen geschürt, die sich dann in gesungener Realität ins Gegenteil verwandeln. Nehmen wir nur mal den druckvollen Song „Lost Vegas“ – ein Wortspiel, das ein bitterböses nächtliches Bild von Las Vegas malt, mit Menschen, die wie Zombies durch nächtliche Straßen irren und sich in der Dunkelheit und Kälte verlieren. Als Gegenstück überrascht uns dann das folgende „Heart Of A Woman“ mit zarten Trompetentönen und wunderschön sphärischem Gesang, der nicht nur weibliche, sondern bestimmt auch viele männliche Herzen öffnet, um danach mit „Round And Round“ Erinnerungen an eine LAURIE ANDERSON zu wecken und den letzten zwei hehren Zeilen: „Mach so lange weiter, Runde für Runde, bis du eins mit dem Universum bist“, endet.

Während dann der Tonabnehmer Runde für Runde seine letzten Bahnen auf der LP-A-Seite zieht, wird klar, dass die Entscheidung der in Frankreich lebenden südkoreanischen Musikern, endlich ein Album nur mit eigenen Stücken zu veröffentlichen, eine ihrer besten war. Denn „Waking World“ sticht alles vorherige von ihr aus und klingt ähnlich stark wie alle Musiker, die YOUN SUN NAH bisher auf ihre Art interpretierte.

Die Grundstimmung der Texte und Musik ist größtenteils eine traurige, sehr gefühlvolle. Streicher unterstützen diese immer wieder, wobei dann aber Trompeten und Flügelhörner wie Sterne aufleuchten. Orgel, Synthesizer und E-Piano sorgen für herrliche Retro-Momente, während akustische und elektrische Gitarren sowie Bässe die Stimmungen oft in ganz unterschiedliche Richtungen treiben. Selbst ausgiebige Bläser und präpariertes Klavier fehlen nicht, während ein Banjo in seltenen Momenten etwas Americana-Country-Flair, aber auch weltmusikalische Stimmungen verbreitet.

Der Sound und die Produktion sind bestechend – die Stereo-Effekte mitunter atemberaubend und der Gesang sticht alles aus, was man sich vorstellen kann. Wer TORI AMOS und KATE BUSH liebt, aber eben auch eine LAURIE ANDERSON oder ANNA TERNHEIM, der wird sicher ohne jegliche Berührungsängste auch dieses Album sofort in sein Herz schließen.

Die „Waking World“ weckt genau das, was heutzutage für viel von uns so wichtig geworden ist. Das Gefühl für Schönheit und Natürlichkeit – und ganz viel Hoffnung darauf, dass, wenn man nur den richtigen Ton, den berauschenden Klang, den idealen Sound findet, auch irgendwo das Glück auf uns lauert. Und sollten wir es nicht finden, dann findet es eben uns. Mit „Waking World“ von YOUN SUN NAH sind wir diesem Gefühl schon verdammt nah.

YOUN SUN NAH versteht dieses Album selber als ein Weg aus diesem Dunkel sowie als Mittel gegen den Stillstand. Mit diesen insgesamt elf tief-schürfenden Komposition sowie den emotionalen Texten ist ihr das klangvoll gelungen. „Waking World“ sollten alle, die emotionale Musik mit Tiefgang und wundervollem Gesang sowie extrem starken Kompositionen sowie poetischen Texten lieben, auf keinen Fall verschlafen.

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FAZIT: „Dieses Album ist beides: ein unglaubliches Vergnügen – und eine gewaltige Herausforderung“, behauptet YOUN SUN NAH von ihrem nach 20 Jahren ersten Album, das ausschließlich ihre eigenen Kompositionen und Texte enthält, nachdem die südkoreanische Jazz-Sängerin bei ihren Veröffentlichungen zuvor immer auf so namhafte Musik-Ikonen wie beispielsweise LEONARD COHEN und MARVIN GAYE zurückgriff. Wir aber können ohne schlechtes Gewissen noch hinzufügen: Dieses Album ist ein Hochgenuss! Also aufwachen und zugreifen!

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.02.2022

Tracklist

  1. <b>Seite A</b> (19:04):
  2. Bird On The Ground (3:30)
  3. Don't Get Me Wrong (3:30)
  4. Lost Vegas (3:20)
  5. Heart Of A Woman (4:33)
  6. Round And Round (4:11)
  7. <b>Seite B</b> (21:04):
  8. My Mother (3:34)
  9. Waking World (3:32)
  10. Tangled Soul (3:13)
  11. It's OK (3:09)
  12. Endless Déjà Vu (3:33)
  13. I'm Yours (4:03)

Besetzung

  • Bass

    Laurent Vernerey

  • Gesang

    Youn Sun Nah

  • Gitarre

    Thomas Naim

  • Keys

    Xavier Tribolet

  • Schlagzeug

    Xavier Tribolet

  • Sonstiges

    Airelle Besson (Trompete, Flügelhorn), Héloise Lefebvre (Violine), Guillaume Latil (Cello)

Sonstiges

  • Label

    Warner Music

  • Spieldauer

    40:08

  • Erscheinungsdatum

    28.01.2022

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