Mit Ausnahme von „When Comes The Dawn?“ bleibt die metallische Härte, die im Opener „Lost In Exile“ durch Doom-Intro, Post-Black-Metal-Raserei und harsche Growls zum Tragen kommt, auf dem Rest des neuen Albums von 1476 einzigartig. Insofern ist die längenmäßig aus fast allen Liedern herausragende Nummer nicht zu hundert Prozent repräsentativ für das dargebotene, mit „In Exile“ betitelte Gesamtwerk. Viel eher lotet die Band über die ersten Minuten hinweg das aus, was im Rahmen der vergleichsweise weit gesteckten musikalischen Grenzen aus Metal, Folk und Punk möglich erscheint, ohne dies auf dem Album in dem Ausmaß noch einmal zu wiederholen.
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Die Aussage von Multiinstrumentalist und Sänger Robb Kavjian, dass jeder Text auf „In Exile“ seine eigene Welt darstellen würde, könnte man also problemlos auf die Musik übertragen. Nicht nur führt der Album-Opener angesichts der über weite Strecken neofolkloristischen Ausrichtung ganzer Lieder („Tristesse In Exile“) vollkommen in die Irre, sondern die kreative und originelle Melange verschiedener Musikstile lässt in jedem Song auch andere Stimmungen und Assoziationen aufkommen. Während einen das einnehmende Mandolinenspiel vom Folk-Über-Hit „Where Kings Fall“ in fremde Welten entführt, kreieren die zwei aus dem Nordosten der USA stammenden Musiker mit „May Mountains Never Fall“ ihre ureigene Interpretation von Punkrock, die ein deutlich schrofferes Klangbild als klassische Genre-Vertreter aufweist und zusätzlich, dank unnachahmlicher Keyboard-Melodien am Schluss, eine gehörige Portion Epicness ausstrahlt.
Diese beiden Tracks könnten zwar unterschiedlicher kaum sein, ihnen wohnt dennoch ein verbindendes Merkmal inne, denn ihre richtige Intensität entfaltet die an sich schon ausgesprochen gelungene Klangkunst erst im Zusammenspiel mit den tiefgründigen Texten und der eigenwilligen Gesangsart. Die oft leidensvoll aufbrausende Stimme, deren Farbspektrum neben Punk- oder Alternative-Schüben auch harsche Töne, meist am Übergang zum nächsten Part, umfasst, entbehrt dabei nie einer grundsätzlichen Eingängigkeit. Wer die Vocals jedoch nicht abkann, muss sich fragen, wie er zu Acts wie SMASHING PUMPKINS, NOFX, SÓLSTAFIR oder BATHORY steht und ob er in diesen Fällen nicht auch über die Eigensinnigkeit der Gesangsdarbietung wohlwollend hinwegzusehen vermag.
In rein instrumentaler Hinsicht ragen aus so gut wie jedem Stück wohltuende, an Schönheit und Erhabenheit reiche Tonfolgen heraus. Beispielhaft können dafür die drei „Feuerlieder“ stehen, bei denen zu Keyboards (mit dezentem DARK TRANQULLITY-Vibe), verträumter Akustikgitarre oder episch verflochtenen Leads gegriffen wird. Manchmal sind wie in „When Comes The Dawn?“ die spannenden Nuancen, ihrer Bergung harrend, unter den grellen Klangfarben verschüttet. Ein anderes Mal lässt man sich zu stimmungsvollen Atmo-Sounds hinreißen („Beyond The Meadows, Beyond The Moors“). Dabei sind die gewählten Elemente nicht kontextlos, sondern vielmehr organisch ins Songwriting eingebunden. Auf dem Vorgängeralbum „Our Season Draws Near“ gelang dies nur teilweise, da jenes vergleichbare Trademarks bisweilen nur als unerhörtes, ungehörtes Nebeneinander abbildete. Man könnte auch sagen, um beim „Feuer“ zu bleiben, dass dieses Eisen offenbar deutlich länger in der Schmiede verweilte.
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FAZIT: „Wayward Occult Rock” – die eigensinnige, aber in höchstem Maße gefällige und wohlkomponierte Art-Rock-Scheibe „In Exile“, die Punk, Folk und Black Metal zu einem eigenständigen Musikstil verbindet, ist ungemein faszinierend. Das erlebt man vielleicht nicht beim ersten Hören. In jedem Fall haben sich 1476 ihre eigene Nische freigeschaufelt und mit diesem Album ein mehr als empfehlenswertes Gesamtkunstwerk erschaffen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.08.2023
Robb Kavjian
Robb Kavjian
Robb Kavjian
Robb Kavjian
Neil DeRosa
Prophecy Productions
60:01
07.07.2023