Wer Southern Rock mit fetten Gitarren-Brettern in den Siebziger- und Achtziger-Jahren liebte und sich dabei speziell von solchen Bands wie LYNYRD SKYNYRD und THIN LIZZY oder CCR begeistert zeigte, der kam früher oder später wahrscheinlich auch an den 38 SPECIAL – selbst wenn die nur eine kurze (Rand-)Erscheinung am Southern-Hardrock-Horizont waren – vorbei. Ganz ähnlich sah das wohl auch der Rockpalast und lud die Ami-Rocker 1981 in seine heiligen Rockpalast-Gefilde.
Dumm nur, dass ein eigentlich waffenverachtender Kritiker über eine amerikanische Band schreibt, der nichts besseres einfiel, als sich nach einer in der USA weit verbreiteten Revolver-Patrone zu benennen. Egal, wie feurig auch die Musik hinter 38 SPECIAL sein mag, die Jungs können froh sein, dass nicht auch für die Musik in Deutschland ein deutlich rigideres Waffengesetz als in Amerika galt. Dann hätte man sie vielleicht gar nicht reingelassen. Gut, Spaß beiseite, denn am 29. August 1981 durften sie direkt auf der Loreley ihre heißen Southern-Rock-Rhythmen mit Whiskey- und Dosenbier-geschwängerter Attitüde auf das deutsche Publikum abfeuern.
Im Mittelpunkt des ersten Open-Air-Konzerts im Rahmen der Rockpalast-Reihe steht der Spaß am Ami-Southern-Rock der alten Schule. Der ganz alten Schule so gesehen, denn mit Donnie Van Zant steht zudem ein stimmgewaltiger Sänger hinterm Mikro, der namhafte Musiker-Brüder hat, denn sein älterer Bruder war Mitglied von LYNYRD SKYNYRD, der mit Mitgliedern seiner Band 1977 tödlich bei einem Flugzeugabsturz verunglückte, während sein jüngerer Bruder Johnny ab 1987 die Rolle seines tödlich verunglückten Bruders hinter dem LS-Mikro übernahm.
Den 38 SPECIAL wird zudem durch gleich drei E-Gitarristen – auch wenn Sänger Donnie Van Zant dabei nur eine untergeordnete Rolle zufällt – eine Menge Druck verliehen, indem sie nicht aus vollen Rohren, sondern aus fetten Saiten feuern, was beim Publikum so einige Begeisterungsstürme auslöst.
Ansonsten gelang es der Band aus Florida trotz ihrer Europa-Tour Anfang der 80er-Jahre nicht, besondere Aufmerksamkeit zu erregen, wohingegen sie in ihrem Heimatland mehr Glück hatten und ein Jahr nach dem Rockpalast-Auftritt mit ihrem Album „Special Forces“ Platin erreichten und außerdem mit „Caught Up In You“ ihren ersten Top-10-Song platzieren konnten, den es bei diesem Konzert noch nicht zu hören gibt, dafür aber ein beachtliches Instrumental, das sich mit „Robin Hood“ in den Sherwood Forest begibt.
Auch hatte genau diese Veranstaltung im Rahmen des Rockpalasts einen besonders historischen Wert, da sie erstmals nicht in irgendwelchen geheiligten Rock-Hallen, sondern außerhalb stattfand, wozu die Macher unter ihrer offiziellen Homepage feststellen: „Nächstes Projekt war unser erstes Open Air Konzert. Die Besetzung: Nine Below Zero, 38 SPECIAL, The Outlaws und Thin Lizzy. Ein Tag mit vielen Gitarren. Als Ort hatten wir uns für die Loreley entschieden, das Datum war der 29. August. Es wurde ein sehr schönes Wochenende. 6000 Zuschauer waren gekommen, die Atmosphäre stimulierte alle. Überall wurden irgendwelche Sachen im Freien gegrillt. Die Bands hatten viel Spaß. Die Steinstufen vor der Bühne waren für alle eine unwiderstehliche Einladung, direkt auf das Publikum zuzugehen. Wir haben mit dieser Produktion eine neue Dimension für uns entdeckt!“
Und wie dieser Spaß auf den Steinstufen aussieht, kann dann mehrfach auch während des Konzerts bewundert werden, bei dem Sänger van Zant das Publikum erstmal mit Bierdosen versorgt und es zum Ende des Konzerts hin sogar noch eine Flasche wertvollen Whiskey gibt. Vieles von den hochprozentigen Getränken fliegt dann auch im hohen Bogen direkt ins Publikum.
Zwei Background-Sängerinnen – schließlich kommt echte Feierlaune ja nicht ohne weibliche Begleitung auf – sorgen ebenfalls für gehörig Feuer und den ein oder anderen erotischen Aspekt (unter anderen auch den abgebildeten knackigen Hintern im Inneren des Jewelcase der DVD/CD-Ausgabe). Mit dieser Mischung erobern die 5 Rockherren plus 2 Rockdamen ganz schnell das Publikum, welches anfangs noch in Abwartehaltung verharrt, dann aber spätestens bei „Robin Hood“, besagtem Instrumental, ganz schnell Feuer fängt. Ein von der E-Gitarre dominiertes Stück, welches bis zur rhythmischen Hymne zelebriert wird, die tatsächlich im allerbesten LYNYRD SKYNYRD-Style daherkommt und wobei es auch wirklich Freude bereitet, nicht nur die Musik zu hören, sondern auch ausgiebig Gitarristen Jeff Carlisi auf der DVD dabei an seiner interessant gestalteten Gitarre zu begutachten.
Als Zugabe hauen die Südstaatenrocker noch eine atemberaubende Version von CCRs „Fortunate Son“ raus, sodass sie garantiert am Ende gleichwertig mit den drei anderen Acts (NINE BELOW ZERO / THE OUTLAWS / THIN LIZZY) dieses ersten Rockplast-Open-Air rüberkommen.
Der einzige Musiker im Bandgefüge, der sich deutlich zurückhält, ist Bassist Larry Junstrom. Fast durchgängig agiert er im Hintergrund, unmittelbar neben dem Schlagzeuger stehend, als der Typ mit der Kapitänsmütze auf der Bühne. Er verstarb im Jahr 2019, was leider keine Erwähnung in den Booklet-Linernotes des singenden Gitarristen Don Barnes findet.
Insgesamt 6000 Zuschauer ließen sich auf dieses Outdoor-Experiment am 29. August 1981 ein und ebneten damit diesem neuen Format auch dank 38 SPECIAL einen dauerhaften Open-Air-Rockpalast-Weg.
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FAZIT: Ein feuriges, herrlich druckvolles Southern-Rock-Konzert, das es nie im Rahmen der Rockpalast-Reihe bis ins Fernsehen schaffte, weil es vorerst nur als Experiment verstanden wurde. Am 29. August 1981 galt es, neue Rockpalast-Wege zu gehen, denn „Live At Rockpalast 1981 – DVD+CD“ war schließlich ein absolutes Novum im Rahmen des Rockpalasts, da erstmals eine geschlossene Halle verlassen und nach draußen zum Open Air gegangen wurde. Mit dabei (neben Nine Below Zero, The Outlaws und Thin Lizzy) waren 38 SPECIAL, die bei dieser Kombination aus DVD und CD erstmals auch live mit ins Bild gesetzt werden. Eine ziemliche Rarität, da die in unseren Breiten weniger bekannten Southern-Rock-Giganten – die sich gerne auch in ihren eigenen Songs als 'The Wild Eyed Southern Boys' besangen – noch nicht mit ausführlicheren Konzertaufnahmen gewürdigt wurden.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.07.2023
Larry Junstrom
Donnie Van Zant, Don Barnes
Don Barnes, Jeff Carlisi, Donnie Van Zant
Jack Grondin
Carol Bristow, Lu Moss (Hintergrundgesang)
MIG music
DVD – 57:39 / CD – 56:29
30.06.2023