Die großen Melancholiker unserer Tage bringen ja für gewöhnlich durch ihre Kunst ihren Weltschmerz mit einer kathartischen Absicht zum Ausdruck, etwa indem sie ihre negativen Energien auf diese Weise zur eigenen Heilung einsetzen. Nicht so der irische Wahlberliner A. S. Fanning. Während bereits dessen erste beiden Alben „Second Life“ (2017) und „You Should Go Mad“ (2020) nicht eben fröhlichen Ursprungs waren, setzt er mit seinem dritten Werk „Mushroom Cloud“ in Sachen Düsternis, Verdammnis und Nihilismus noch mal deutlich eins drauf.
Vielen von Fannings Kollegen reicht ja schon eine persönliche Tragödie oder vielleicht ein universelles Thema, um sich daran songwriterisch abzuarbeiten. Bei A.S. FANNING hingegen gibt es solche Einschränkungen nicht. In seiner Welt ist einfach alles desolat. Zumindest inhaltlicher Natur. Als Songwriter greift er einfach alles auf, was ihn und uns zur Zeit bedrücken dürfte: Die Einsamkeit und Isolation der Pandemie etwa, die Existenzängste angesichts der Weltlage, die Endlichkeit des Daseins, die Furcht vor der Einsamkeit, Paranoia, die Einflüsse von Fake-News und Verschwörungstheorien und natürlich auch die Schatten, die von Atompilzen verursacht werden. Tatsächlich starrt er als Songwriter dabei so lange und intensiv in den Abgrund, dass er selbst manchmal darüber schmunzeln muss, was er dabei alles so zu Papier bringt.
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Vieles liegt hierbei an seiner Arbeitsweise. So schreibt er morgens nach dem Aufstehen erst mal alles auf, was ihm im Kopf herumschwirrt (außer Träume, denn an die erinnert er sich nach eigener Aussage nicht) und verdichtet das dann – je nach Gefühlslage – mal erzählerisch, mal assoziativ und mal philosophisch in einem assoziativen Prozess zu seinen wortreichen, rabenschwarzen Song-Epen. Manchmal ist dies so 'Over The Top', dass es ihn selber verblüfft. Einen gewissen therapeutischen Wert attestiert der Mensch und Musiker dann diesem Prozess zwar, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass dieser ihn nicht wirklich heilen könne. Und überhaupt: So richtig unglücklich hätte er sich auch gar nicht gefühlt, als er das neue Material geschrieben habe, nur ein wenig depressiv.
Der Grund schließlich, warum es auf „Mushroom Cloud“ sogar noch desolater zugeht als auf seinen beiden vorherigen Alben, liegt in der persönlichen Situation des Künstlers, der die neuen Songs mitten in der Pandemie schrieb: Weiland saß er nämlich nicht nur in den Lockdowns – getrennt von seiner irischen Familie – in Berlin fest, sondern betrauerte zudem noch das Zerbrechen einer langjährigen Beziehung. So machte er die Themen Isolation und Einsamkeit zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
In dem Song „Sober“ etwa resümiert er darüber, ob er sich mit der Einsamkeit arrangieren könnte, wenn er auf einem Walfangboot anheuerte. In „Pink Morning / Magic Light“ macht er dann schließlich gute Miene zum bösen Ziel und kommt zu dem Schluss, dass in der 'Onlyness' des Daseins, aber nicht den unbeständigen Sicherheiten einer Liebe, der Schlüssel zur Bewältigung „des Restes seines wertlosen, kleinen Lebens“ sein könnte.
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Freilich: Obwohl das Album „Mushroom Cloud“ keine wirklich konstruktiven Lösungsansätze bietet, den von A.S. FANNING angesprochenen Dystopien irgendwelche positiven Aspekte abgewinnen zu können, wirkt das Werk keineswegs so deprimierend und desolat auf den Hörer, wie anzunehmen gewesen wäre, was darin begründet ist, dass er seine Songs nicht mit der rührseligen Larmoyanz vieler ich-bezogener 'Männerschmerz- Songwriter' vorträgt – und auch nicht mit der biblischen Opulenz etwa eines LEONARD COHEN oder NICK CAVE – sondern eher als schrulliger Stoiker, der die Dinge einfach so hinnimmt, wie sie sind. Tatsächlich werden Freunde dieser Art von Musik am Ende dann sogar eine versöhnliche, tröstliche Note im Wirken A.S. FANNINGs entdecken können.
FAZIT: Musikalisch brauchen die Songs des A.S. FANNING eine solide Basis, auf der sich die epischen Gedankengänge des Meisters auch raumgreifend und körperlich manifestieren können. Insofern war es sicherlich keine schlechte Idee von ihm, das Material mit den Musikern seiner festen Band live und analog in wenigen Tagen im Studio einzuspielen und diese auch an der Ausarbeitung der Songs zu beteiligen. Gerade eben weil er kein klassischer Folkie ist, bat er seinen Gitarristen Bernardo Sousa darum, das abrasive Sound-Design zu definieren und die Gitarrenparts zu komponieren und ließ Keyboarder Dave Adams alle Freiheiten, etwa mit seiner Hammond Orgel das Klangbild entscheidend zu prägen. Dass er außerdem auf den entscheidenden Tracks am Anfang und am Ende von „Mushroom Cloud“ ein kammermusikalisches Streichquartett zum Einsatz brachte, welches der dystopischen Note seiner Lyrics musikalisch Vorschub leisten konnte, erweist sich als kluge Entscheidung, denn so entstand ein vielschichtiges, transparentes Werk mit genügend monumentalem Kaputnik-Blues und Psych-Rock-Elementen, um es vor dem möglichen Versinken in der Finsternis – zumindest auf der musikalischen Ebene – bewahren zu können.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.05.2023
Felix Buchner
A.S. Fanning
A.S. Fanning, Benjamin Sousa
Dave Adams
Jeff Collier
Proper Octopus Records
41:39
26.05.2023