<img src="https://vg04.met.vgwort.de/na/760e3bd33fe9477abcb465c21e1468a1" width="1" height="1" alt="">Zehn Songs. Keiner zu viel. Keiner zu wenig. Schon auf den ersten Blick ahnt man, dass es sich bei dem neuen Album dieses herzensklugen Musikers um ein Werk handeln dürfte, das seine Reife gefunden hat. Dem Zeit gelassen wurde. Das womöglich sogar mit einer inneren Dramaturgie aufwartet. Und es bestätigt sich. Der Einstieg bietet einen der besten Hattricks in der Geschichte der deutschsprachigen Popmusik. „Guten Morgen, Zuversicht!“, „Weg nach Haus“ und „Das Gegenteil von unten“ sind allesamt absolute Zehn-von-Zehner in ihrer jeweiligen Kategorie. Dem aufrichtig emotionalen Folk-Country-Shuffle, der aufbaut und tröstet, weil er weiß, dass das Leben kein Ponyhof ist. Der originär und originell gedichteten Liebeserklärung in perlendem Indiepop. Und der tief melancholischen Gitarrenzupf-Piano-Ballade, die mit Substanz ans Herz geht.
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An vierter Stelle folgt nichts weniger als der famoseste Protestsong gegen die ständige Entwertung von Kunst und Kultur, den ein Mensch sich ausdenken kann. „Vier Euro Neunundneunzig“, steigt das Lied ein, „und fünf Jahre dran geschrieben / ein ganzes Herz ausgeschüttet / für die Alben, die ganz unten liegen“. In der Bitterkeit der Lage schreibt Dave de Bourg dann allerdings eine der stärksten Hooklines seiner Karriere, die jeder schon beim ersten Mal mitsingt, der auch nur einem Hauch von Sinn für diese Melodiebögen der enthusiastischen Schwermut hat. De Bourg selber sagt von sich, dass die Lemonheads und Green Day die wohl tiefliegendsten Einflüsse seines Schreibens waren. Ich möchte hinzufügen, dass auch ein Nikola Sarcevic von Millencolin oder ein Tony Sly von No Use For A Name sehr stolz auf ihn wären. Nicht ohne Grund haben diese Legenden des melodischen Punkrocks auch alle folkige, akustische Soloalben gemacht.
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In der Mitte des Albums, welches tatsächlich einer schönen und schlüssigen Dramaturgie folgt, achte man bei dem auch mit Mundharmonika begleiteten „Als wir die Riesen besiegten“ einmal darauf, wie warm, intim und unglaublich nah diese Musik aufgenommen ist. Man hört das schon bevor man weiß, dass de Bourg sich dieses Mal „dank“ der Lockdownzeit ganze zwei Jahre Zeit nahm, um jeden Song daheim in Ruhe zu vollenden, statt wenige Tage im Studio zu buchen. Alles bekam, die Zeit, die es brauchte und entstand noch dazu meist nachts, „während Frau, Kind und Hund schliefen“.
Die emotionale, musikalische und lyrische Qualität, die Dave de Bourg auf diesem seinem besten Album bietet (darauf lege ich mich schon mal fest) steht in keiner Relation zu seinen Abspielzahlen in den Streamingdiensten oder den wunderschön als Klapp-Digipack gestalteten CDs, die er von daheim aus selber versendet. Jeder, der die Wohlstandskinder mochte oder deren Nachfolgeband Ton, der gerne Tommy Finke hört oder sich wünscht, es gäbe Kaliber wie Tocotronic oder Thees Uhlmann auch ohne den ganzen Ballast an zu viel intellektueller Distanz oder zu viel sich für Springsteen halten, der müsste das Gesamtwerk von Dave de Bourg eigentlich lieben. Und sogar Eltern, die auf die frühere Generation der Liedermacher schwören, lässt sich dieser Tonträger hervorragend schenken – „Sollbruchstelle“ etwa ist ein herausragender Reinhard-Mey-Song, den Reinhard Mey nie geschrieben hat.
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FAZIT „Denn die Achtziger sind schuld, das ich bin, wie ich bin“, singt Dave de Bourg so augenzwinkernd wie wahr, „und die Neunziger sind schuld, dass ich bleib, wie ich bleib.“ Das trifft diese Perle von Singer-/Songwriter-Indie-Folk-Pop-Album sehr gut, der man allenfalls vorwerfen kann, dass die Machart der Hooks sich ähneln und man irgendwann auch andere Lieder weiterspinnt wie einen Ohrwurm von Dave de Bourg. Wobei auch das ein Kompliment sein kann.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.09.2023
Dave de Bourg
Dave de Bourg
Dave de Bourg
Dave de Bourg
Dave de Bourg
Dave de Bourg (Mundharmonika)
Beaversound / Eigenvertrieb
35:06
01.09.2023