„Sometimes I’m Dizzy When I Scream“ wirkt in der Wortanalyse wie die Beschreibung eines dissoziativen Zustands. Ein Moment, in dem das eigene Handeln nicht rational erklärbar ist, also aus einem unmittelbaren Impuls erfolgt.
Diese Unmittelbarkeit ist in gewisser Weise die Basis für die Musik von DEER ANNA. Die Hamburgerin spielt verträumten Indie-Pop, kehrt dabei aber ihr Inneres, die tiefsten Winkel ihres Herzens und ihres Verstandes, nach außen.
Warum Herz und Verstand? Weil hier auch versucht wird den eigenen Zustand nachträglich zu verstehen. Auf den Impuls, der zur Handlung führt, folgt später der Versuch einer rationalen Betrachtung.
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Dass dieses Unterfangen im Grunde von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, ist kein Makel, es zeugt vielmehr von einer gewissen Hartnäckigkeit gegenüber sich selbst. Wie um diese Hartnäckigkeit erträglicher zu gestalten, klingen Stücke wie das selbstkritische, „Never Awake“ regelrecht locker flockig und vermitteln auf musikalischer Ebene fast sowas wie Lebensfreude.
Dieser Kontrast zieht sich durch sämtliche Songs des Albums und wird durch interessante, mitunter auch zynische Metaphern in den Texten veranschaulicht. Allerdings ist der Star der Show doch die leicht zerbrechliche Stimme von DEER ANNA. Denn auch wenn ihre Töne noch so fein wirken, irgendwie klingt die Sängerin stets ein wenig angeknackst. Nicht im mentalen Sinn, sondern eher im künstlerischen Kontext.
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Egal ob sie über düstere Zukunftsprognosen singt, oder ob sie im Abschluss „In Silence Standing Still“ trotz aller Bitterkeit wenigstens einen Funken Hoffnung aufblitzen lässt, ihre teilweise sehr trockene Art der Selbstdarstellung fasziniert. Sie bringt aber auch das Potenzial zur Versöhnung mit, womit sich das ganzheitliche Kunstverständnis der Dame erklärt. Denn Kunst ist Ausdruck des inneren Zustandes, ist aber auch Selbstverwirklichung und Zwang. Da passt der Albumtitel doch auch wieder perfekt. Denn ein Schrei wirkt befreiend, ist euphorisch und krampfhaft zugleich. Pure Emotion, was letztendlich auch eine passende Zusammenfassung für die Kunst von DEER ANNA ist.
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FAZIT: Vielleicht ist „Sometimes I’m Dizzy When I Scream“ auch eine unbewusste Ode an die Schönheit des Unperfekten. Denn DEER ANNA klingt ehrlich zerbrechlich, versucht aber auch einen musikalischen Silberstreif am tristen Horizont unserer Zeit zu erschaffen. Hier liegen Verzweiflung und Hoffnung nah beieinander, befruchten sich aber gegenseitig zu einem schönen Kunstwerk.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.09.2023
Jonathan Riedel
Deer Anna
Deer Anna, Joel Fernandes
Deer Anna, Joel Fernandez, Jonathan Riedel, Ben Shadow
Kian Kiesling, Timon Schemp, Friedel Viegener
Deer Anna (Banjo, Glockenspiel, Chimes), Joel Fernandez (Kalimba), Kian Kiesling (Percussion, Hackbrett), Tadeo Fisser (Trompete, Flügelhorn), Timon Schemp (Percussion)
DanCan Music
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01.09.2023