Zehn Songs, gut 40 Minuten Musik, vier gelassen dreinblickende Herren auf dem Albumcover: Nach dem ersten Eindruck hat sich nichts verändert bei ELEMENT OF CRIME, dieser wunderbaren Berliner Band, die Kontinuität und Verlässlichkeit zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Und wenn man die gut abgehangene Mischung aus melancholischen Balladen, urigem Rumpel-Folk, beschwingten Pop-Walzern und jazzigen Chansons nur oberflächlich hört, dann haben die Mannen um Sänger, Texter und Trompeter Sven Regener wieder mal eine typische Element-Of-Crime-Platte im Angebot - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch ganz so einfach ist es nicht mit "Morgens um vier", dem nach offizieller Zählung 15. Album des geliebten und verehrten Querkopf-Quartetts.
Zunächst mal mussten ELEMENT OF CRIME den Verlust eines langjährigen Mitglieds beklagen - ihr schon länger erkrankter Bassist und Produzent David Young starb im vorigen Jahr mit 73, er wird nun durch den bereits als Tournee-Aushilfe bewährten Markus Runzheimer ersetzt. "Aber Dave hat ja für uns eine viel größere Rolle gespielt, er war nicht nur der Bassist, er hat diese Band sehr geprägt, er war unser Kabel in die große weite Welt. Und er war irgendwie auch mein bester Freund", sagt Regener im Interview (endlich mal wieder Face-to-Face mitten in Berlin).
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/ZQZpHOhTDOE" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
"Morgens um vier" ist deswegen nun keine durchgehend traurige Platte geworden. Aber zum Brüllen komische Alltagsbeobachtungen in Songform wie "Ein Brot und eine Tüte" vom Vorgängerwerk oder den absurden Tresen-Plausch "Alle vier Minuten" ("Alle vier Minuten kommt die U-Bahn hier vorbei/und alle dreieinhalb Minuten kommt ein neues Bier") vom "Romantik"-Album gibt es diesmal nicht.
Nicht nur wegen des Todesfalls hat sich bei ELEMENT OF CRIME manches verändert in den gut vier Jahren seit dem wie eigentlich immer bei Kritikern und Käufern sehr erfolgreichen "Schafe, Monster und Mäuse". Die Schatten einer unruhigen Zeit - mit Corona-Pandemie, Krisen und einem furchtbaren Angriffskrieg mitten in Europa - sind aus einigen neuen Liedern dieser stoischen Band herauszuspüren, auch wenn Regener die Auslegung seiner Texte offen halten möchte.
So enthält der Opener "Unscharf mit Katze" Zeilen, die als Ausdruck von Verunsicherung gelesen werden können. Musikalisch so behaglich folkrockig wie gewohnt, heißt es da: "Die Zeiten werden wilder" und "Die Welt um uns herum geht auf und nieder". Im Refrain fragt Regener: "Leute, wo soll das enden?" Die norddeutsche Schnoddrigkeit des gebürtigen Bremers lässt das Stück dann zwar nicht komplett verzweifelt klingen - zweifelnd aber durchaus. Im nur gut zweiminütigen, von Richard Pappiks Mundharmonika verzierten Song „Alles in Ordnung“, überrascht eine Textpassage mit politischer Sehnsuchtsbotschaft: "Und alle Kriege sind vorbei/und alle Menschen frei…"
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/c6TuEfDF77g" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
Auf "Morgens um vier" haben ELEMENT OF CRIME daneben einige besonders schöne Liebes- oder Liebesfrust-Lieder versammelt. Kaum ein anderer deutscher Texter kann darüber so lakonisch, kitschfrei und doch gefühlvoll in den drei bis vier Minuten eines Popsongs erzählen wie Sven Regener. "Also ganz generell finde ich, in der Rockmusik ist das die Grundlage allen Songschreibens – was zwischen den Leuten passiert, und da ist die Liebe natürlich ganz wichtig", sagt der 62-Jährige. "Worüber soll man denn sonst schreiben – übers Wetter? Also Songs und Liebe – das ist der rote Faden, der sich durch alles zieht." Vom neuen Album qualifizieren sich "Dann kommst du wieder" (ein tolles Duett mit Isolation-Berlin-Sänger Tobias Bamborschke), "Kaltes Herz" und „Alles in Ordnung“ für künftige Playlists mit romantischen Liedern von ELEMENT OF CRIME.
Während die Vorgängerplatte eindeutig das "Berlin-Album" der Band war, kommt "Morgens um vier" mit viel weniger Lokalkolorit aus. Für Regener, dessen Bestseller-Romane "Herr Lehmann" oder "Wiener Straße" ja auch viel Hauptstadt-Flair hatten, gibt es aber keine bewusste Abkehr von den Berlin-Themen und -Locations: "Bei manchen Songs ergibt sich das einfach, wie jetzt in „Wieder Sonntag“, und bei anderen ergibt sich das eben nicht. Ich lebe seit über 40 Jahren hier – ist ja klar, dass man davon beeinflusst ist", sagt er im Interview.
Mit dem wohl längsten Song der Bandgeschichte endet das neue Album von ELEMENT OF CRIME, er ist zugleich einer ihrer besten. Das Titelstück nimmt sich fast sieben Minuten Zeit, um eine urbane Morgenstimmung und die mäandernden Gedanken eines Nachtschwärmers einzufangen - ein Lied, das dem grandiosen Abschluss der vorherigen Platte ("Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin") mindestens ebenbürtig ist. Kein Zweifel: Gut 30 Jahre nach ihrem Durchbruch mit "Damals hinterm Mond" (1991) bleiben "die Elements" eine der sympathischsten Konstanten der deutschsprachigen Popmusik - auch wenn die Unterschiede von Album zu Album eher marginal sind.
<center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/GPnVNVewpIQ" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe></center>
FAZIT: Nach drei erfolgreichen Jahrzehnten in der deutschsprachigen Musikszene legen ELEMENT OF CRIME eine Platte vor, die von niemand Anderem stammen könnte, die also unverwechselbar nach dieser Band klingt. Mit leicht veränderter Besetzung (wegen des Todes von Bassist David Young) zelebrieren die Berliner ihre bewährte Mixtur aus Folk, Rock, Walzer-Pop, Jazz und Chanson, während Sven "Herr Lehmann" Regener mit knarrend-schnoddrigem Tonfall seine dem Alltag und dem (Liebes-)Leben abgerungenen Schnurren und Weisheiten ausbreitet. So verlässlich gut dürfen sie noch lange weitermachen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.04.2023
Markus Runzheimer
Sven Regener, Tobias Bamborschke
Jakob Ilja, Sven Regener
Ekki Busch
Richard Pappik
Sven Regener (Trompete), Richard Pappik (Mundharmonika)
Vertigo/Universal
42:29
06.04.2023