Es ist ja sowieso immer schön, wenn es Musiker gibt, die über den eigenen Tellerrand hinaus lugen. Besonders viele davon scheint es in Belgien zu geben – vielleicht auch deswegen, weil sich dort Individualität und Chorgeist traditionellerweise nicht ausschließen.
Bereits das Bandprojekt ZITA SWOON, welches der damalige dEUS-Musiker STEF KAMIL CARLENS zusammen mit dem Drummer AARICH JESPERS gründete, entstand aus dieser Grundhaltung heraus. Als Aarich schließlich 2013 mit seinem ZITA SWOON-Kumpel KOBE PROESMANS das Side-Projekt THE COLORIST gründete, ging es dann sogar nicht mehr nur um den Blick über den Tellerrand, sondern das Betreten neuer Klangwelten.
THE COLORIST betätigten sich nämlich von Anfang an nicht mehr nur als Musikanten, sondern auch als Soundtüftler, Produzenten, Instrumentenbauer und -erfinder. Nicht aber notwendigerweise als Songwriter: Das Prinzip war von Anfang an, die Songs geschätzter Kollegen mittels des (übrigens konsequent organisch ausgerichteten) Instrumenten-Sammelsuriums sozusagen alternatives Leben einzuhauchen.
Eine der ersten, denen dieses Prinzip zusagte, war die isländische Songwriterin EMILIANA TORRINI, die ihre eigenen Arrangements in dem COLORIST-Treatment selbst kaum wiedererkannte. Darum bat sie Aarich und Kobe schließlich, einige ihrer Songs für ein Live-Projekt neu zu arrangieren. Dafür wurde das Projekt THE COLORIST schließlich sogar mit 6 weiteren Musikern zum COLORIST ORCHESTRA aufgebohrt und 2016 erschien dann auch das gemeinsame Live-Album „EMILIANA TORRINI & THE COLORIST“. Auf diesem Mitschnitt fand sich dann – neben den Coverversionen aus ihrem Back-Katalog auch ein neuer Track namens „When We Dance“, den die drei gemeinsam geschrieben hatten.
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Fast Forward: Als sich EMILIANA TORRINI und THE COLORIST nun wieder für ein gemeinsames Projekt zusammenfanden, war allen Beteiligten klar, dass es nicht einfach um eine Neuauflage des ersten Albums gehen konnte. Anstatt also wieder auf bestehende Songs zu setzen, beschlossen sie, die nun vorliegende neue Song-Sammlung „Racing The Storm“ gemeinsam auszuarbeiten.
Ähnlich wie bei dem 2021er Projekt „Not On The Map“ mit HOWE GELB entstanden die Tracks in einer Synthese aus Torrinis Songideen, Lyrics und Gesang und den abenteuerlichen Kammerpop-Arrangements von Aarich und Kobe, wobei beide Seiten aus gewohnten Komfort-Zonen lösten und die gemeinsamen Pfunde auf kreative Weise in die Waagschale warfen, bis am Ende etwas ganz Eigenes dabei herauskam.
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Nicht umsonst heißt einer der neuen Tracks „A Scene From A Movie“ (und ist ein Instrumental) – denn THE COLORIST lassen keine Gelegenheit aus, das Projekt in ein lautmalerisches Noir-Setting einzufassen, bei dem vor allen Dingen die orchestralen Aspekte mittels geradezu schwelgerischer Streicher-Arrangements in eine geradezu epische Richtung aufgebohrt werden. Das steht dann in einem interessanten Widerspruch zu Torrinis naturverbundenen, oft traumwandlerisch inszenierten Lyrics und ihrem vergleichsweise geradlinigen Gesang und den mittels selbstgebastelter Perkussion-Elemente eigentümlich trocken polternden, rhythmischen Aspekten im Kaputnik-Blues-Stil.
„Racing The Storm“ ist dabei zudem – trotz des evokativen Titeltracks – eine gelungene Fingerübung in Sachen Kontemplation und Zurückhaltung geworden.
In dem Liebeslied „Dove“ singt Torrini „Life's Become Too Simple For Big Words“ und drückt damit aus, dass es ihr nicht um große Botschaften, Erkenntnisse oder Problemlösungen geht, sondern nur darum, in versöhnlicher Weise miteinander auszukommen und sich an dem zu erfreuen, was man hat.
„Racing The Storm“ ist – trotz des bereits angedeuteten Noir Faktors – eines der entspanntesten, friedfertigsten und stoischsten Artpop-Alben der jüngeren Vergangenheit. Und wieder einmal haben wir es hier mit einem Projekt zu tun, welches in der Summe deutlich mehr als die Summe seiner Einzelteile ausmacht.
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FAZIT: Um richtig goutieren zu können, was AARICH JESPERS und KOBE PROESMANS als Arrangeure leisten, sollte man sich eine Live-Show des COLORIST ORCHESTRA anschauen, denn es ist kaum zu glauben, welche Klangwelten das Ensemble aus der wie eine kaputte Spielzeugsammlung anmutende Instrumentensammlung auf der Bühne herauszukitzeln im Stande ist. Das gilt auch für das neue Album mit EMILIANA TORRINI. Auf „Racing The Storm“ wurde nichts dem Zufall überlassen: Alle Elemente wurden genau so gewichtet, angeordnet und zueinander ins Verhältnis gesetzt, bis am Ende ein schlüssiges Gesamtergebnis herauskam. Bemerkenswert dabei ist besonders der Umstand, dass das Album trotz aller Komplexität und Vielschichtigkeit – und nicht zuletzt aufgrund des unaufgeregtem Gesangs – unterm Strich geradezu mit heiterer Gelassenheit daherkommt.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.03.2023
Tim Vanderbergh
Emiliana Torrini
Aarich Jespers
Wim De Busser, Aarich Jespers
Kobe Proesemanns
Bella Union
40:25
17.03.2023