<img src="https://vg04.met.vgwort.de/na/db3254ef775247a5aa4936c9e619f869" width="1" height="1" alt="">„But Here We Are“. Aber hier sind wir. Der Titel des neuen Albums einer der letzten großen Rockbands bildet ein Statement in mehrfacher Hinsicht. Zunächst mal die emotionale, die jeder kennt, der Menschen verabschieden musste. Der nicht nur verstand, sondern wirklich spürte, wie kurz unsere Zeit im Diesseits ist und wie schmerzhaft, nicht zu wissen, sonden nur hoffen zu können, dass es ein Jenseits gibt. Oder einen Neustart in einem anderen Avatar. Dave Grohl musste seit dem letzten Werk seine Mutter Virginia ziehen lassen und seinen Freund und Schlagzeuger Taylor Hawkins. Letzteres führt auch dazu, dass er auf diesem Album wieder selber am Drumkit sitzt. Ersteres findet seinen Niederschlag unter anderem in dem Song „The Teacher“, da seine Mama Lehrerin war, einem dramatischen 10-Minüter, der sich am Ende nach dem finalen „Goodbye“-Ruf zu einem Stück Noiserock aufbäumt, bei dem die Instrumente genau das ausführen, was man nach dem letzten Atemzug eines Angehörigen ebenso gerne machen würde, im Nebenzimmer oder oben, im Gastraum des Hospizes. Schreien, Toben, das ganze verfluchte Mobiliär in Kleinteile schlagen.
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„But Here We Are“, das heißt somit auch: Es geht weiter. Weil es muss. Weil es darf. Weil es soll. Der Tod der Lieben lässt einen das Leben umso mehr wertschätzen und es wirkt, als hätten Dave Grohl und seine Mitstreiter sich vorgenommen, aus diesem Grund das womöglich beste Album ihrer Karriere zu schreiben. Es lässt sich noch nicht abschließend sagen, denn Klassiker entstehen erst mit und durch die Prüfung der Zeit und hier und da gibt es minimalste Längen, aber in die besten drei Werke stößt dieses „weiße Album“ locker schon vor. Mit seiner Wärme und seiner Verzweiflung, seiner Abwechslung und Klasse, mit all der Mühe und Ambition, die sich in substanzreiche Songs umsetzt, die bei jeder Hörrunde wachsen. Im Titelstück treffen Rush auf Therapy?, wenn ein vertrackter Rhythmus sich mit einem grollenden Grohl und einem Donnerwetter an Klang zu etwas verbinden, das die Bezeichnung ProgROCK tatsächlich verdient hat. Zugleich gibt es auf derselben Platte, die solches Besteck auffährt, aber auch Lieder wie „Nothing At All“ mit einem völlig luftigen, luziden 80er-Jahre-Poprock-Vibe, der schließlich die Hand in Richtung Grunge ausstreckt und somit eine ebenso einzigartige neue Melange erzeugt. Man könnte sagen, hier erleben wir eine Fusion von Mike & The Mechanics mit Nirvana. Und das ist angesichts der im jeweiligen Genre vollendeten Qualität der Genannten als vollständiges Kompliment gemeint.
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„The Glass“ fährt die ganz großen Gesten auf, arbeitet hochsouverän mit der guten, alten Laut-Leise-Klaviatur und nimmt einen traumhaften melodischen Gang. Drei Generationen können zu so einem Lied auf dem sauer-sommerlich gekippten Festivalboden melancholisch den Kopf schwenken. Ein Großpapa im Beatles-Shirt, dessen Sohn mit Textil der Deftones am Leib und die Teenager-Tochter von ihm, die zwar immer noch auf Sleep Token steht, aber so langsam Vaters Soundgarden-Sammlung und Opas Alben von Pink Floyd durchstöbert.
FAZIT: Es ließe sich zu jedem einzelnen Lied dieses Albums viel erzählen, zehn Songs in perfekter Dramaturgie ohne einen einzigen echten Füller, doch gilt hier Hörpflicht für jeden und jede, die erleben möchten, wie künftiger Kanon klingt oder die selber Tod und Abschied zu verarbeiten haben. Die Single „Under You“, so viel hat sich bereits herausgestellt, gilt bereits jetzt als Hit und Fan-Favorit von der Größe eines „Best Of You“ oder „Hey, Johnny Park!“ und hält in Sachen Griffigkeit, Dichte und Wucht auch mit jenen Klassikern mit. Und damit, eine Lust auf das Leben zu vermitteln, die wir den Verstorbenen verdammt noch mal schuldig sind.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.06.2023
Nate Mendel
Dave Grohl
Chris Shiflett, Pat Smear
Rami Jaffee
Dave Grohl, Josh Freese
RCA
48:14
02.06.2023